Eine New Yorker Tragödie

KLEINKRIEG Die Proteste gegen die angeblich antisemitische Oper „Death of Klinghoffer“ sind nicht neu. In anderen Städten wurde sie deshalb schon abgesetzt

An den acht Aufführungen bis Mitte November hält der Opernchef fest

AUS NEW YORK DOROTHEA HAHN

„Schande. Schande. Schande“, rufen die DemonstrantInnen den elegant gekleideten OpernbesucherInnen zu, die durch ihr Spalier gehen. Zwischendurch ertönen die Rufe: „Nazischweine!“. Ein paar Meter weiter, hinter Absperrgittern, halten RollstuhlfahrerInnen, von denen einige gelbe Sterne tragen, vorgedruckte Schilder hoch, auf denen zu lesen ist: „Ich bin Klinghoffer“. Und: „Die Metropolitan Opera rechtfertigt Angriffe gegen Juden“.

Die Aufregung – organisiert von konservativen jüdischen Gruppen – begleitet die Premiere von „Death of Klinghoffer“ am Montagabend in New York. Und sie geht im Inneren des Opernhauses weiter. Dort unterbrechen Buhrufe schon die ersten Arien, und ein Mann ruft von einem der besonders teuren roten Plüschsitze am Ende der ersten Szene rund ein Dutzend Mal: „Der Mord an Klinghoffer wird nie vergeben!“

Der Stein des Anstoßes ist eine Oper in zwei Akten von dem US-amerikanischen Komponisten John Adams und der Libretto-Autorin Alice Goodman. Ihr Thema ist ein Terrorereignis aus dem Oktober 1985: die Entführung des Kreuzfahrtschiffs „Achille Lauro“ und der Mord an dem jüdischen New Yorker Rollstuhlfahrer, Leon Klinghoffer, durch ein Kommando der „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP). Adams, Postminimalist und einer der bekanntesten lebenden US-amerikanischen KomponistInnen, hat mehrere Opern zu aktuellen politischen Ereignissen geschrieben – darunter „Doctor Atomic“ und „Nixon in China“. Er hat dabei jeweils versucht, Dinge in einen historischen Kontext zu stellen. Bei „Death of Klinghoffer“ beginnt seine Handlung mit zwei parallelen Chören, darin singen Israelis und PalästinenserInnen im Exil. Für die mehreren hundert DemonstrantInnen vor der Metropolitan Opera – von denen die meisten das Werk nie gesehen haben – ist das unerträglich. Und gehört verboten. Einer der Prominenten in ihren Reihen ist der frühere New Yorker Bürgermeister und Opernliebhaber Rudy Giuliani. Allerdings verlangt er kein Verbot: wegen der in der Verfassung garantierten Meinungsfreiheit. Giuliani erklärt in einer Pressekonferenz, dass er gegen die Oper protestiert, weil sie „faktisch nicht akkurat“ sei.

Seit ihrer Uraufführung 1991 in Brüssel war jede neue Inszenierung der Oper – darunter in London, Lyon und Wuppertal – von Protesten begleitet. In Los Angeles und in Glyndebourne (Großbritannien) setzten Opernhäuser wegen der Proteste ihre Inszenierungen ab. In Boston strich das Opernhaus das Stück nach den Attentaten vom 11. September 2001 aus dem Programm. Doch die Metropolitan Opera ist die größte Musikinstitution, mit der es die OpernstürmerInnen aufgenommen haben.

In einem monatelangen Kleinkrieg haben Gruppen wie die Anti Defamation League, die sonst unter anderem illegale Siedlungen im Westjordanland verteidigen, bereits mindestens einen großen Erfolg davon getragen: Im Juni hat die Metropolitan Opera ihre für November geplante Übertragung von „Death of Klinghoffer“ in mehrere tausend Kinos weltweit abgesetzt. „Ich bin überzeugt, dass diese Oper nicht antisemitisch ist“, erklärte Opernchef Peter Gelb im Juni. Dennoch habe ihn der steigende Antisemitismus – „insbesondere in Europa“ – dazu gebracht, die Liveübertragung abzusetzen. Aber an den acht Aufführungen der Oper bis Mitte November hält er fest. Im Programm dazu druckt er unter anderem die bittere Kritik der beiden Klinghoffer-Töchter ab. „Die künstlerische Erforschung von politisch geladenen Themen muss dem Publikum ohne Zensur vorgestellt werden“, begründet das Opernhaus. Und verfasst einen Werbeslogan: „Erst anschauen. Dann eine Meinung bilden.“