Preis der Ehre

SCHUTZ Denis Mukwege, der Kongos Gewaltopfer versorgt, bekommt den EU-Menschenrechtspreis. Doch wo bleiben die Menschenrechte?

■ Seit 1988 wird der Sacharow-Preis für geistige Freiheit (auch EU-Menschenrechtspreis genannt) vom EU-Parlament an Personen und Organisationen verliehen, die sich für die Verteidigung der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit einsetzen.

■ Der Preis wird jährlich in Straßburg verliehen und ist mit 50.000 Euro dotiert. Er ist nach dem Friedensnobelpreisträger Andrei Sacharow benannt.

■ Zu den bisherigen Preisträgern zählen Nelson Mandela (1988), Salima Ghezali (1997, algerische Journalistin), Damen in Weiß (2005, kubanische Menschenrechtsbewegung) und Jafar Panahi (2012, iranischer Regisseur).

VON DOMINIC JOHNSON

Wenige Tage bevor das Europaparlament am Dienstagabend dem kongolesischen Gynäkologen Denis Mukwege Europas wichtigsten Menschenrechtspreis „für seinen Kampf für den Schutz insbesondere von Frauen“ in den Kriegsgebieten der Demokratischen Republik Kongo zusprach, warf die kongolesische Regierung den obersten internationalen Menschenrechtswärter im Land hinaus. Scott Campbell, Leiter der Menschenrechtsabteilung der UN-Mission im Kongo (Monusco), wurde am vergangenen Freitag zur „unerwünschten Person“ erklärt und trat umgehend einen angeblich lange geplanten Urlaub in der Schweiz an. Er hatte vergangene Woche in einem Bericht zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen und illegalen Hinrichtungen durch die Polizei in Kongos Hauptstadt Kinshasa beim Kampf gegen Bandenkriminalität dokumentiert. Der Leiter der UN-Mission, der deutsche Diplomat Martin Kobler, erklärte sich über die Ausweisung „tief besorgt“, aber es sieht nicht danach aus, als würde Campbell seinen Posten wieder aufnehmen.

Diplomaten, die sich im Kongo für Menschenrechte einsetzen, bleiben also nicht unbedingt im Land, aber immerhin am Leben. Sacharow-Preisträger Denis Mukwege entrann vor fast genau zwei Jahren nur knapp dem Tod, als bewaffnete Männer am 25. Oktober 2012 in sein Haus in der ostkongolesischen Stadt Bukavu eindrangen, seine Familie als Geisel nahmen und ihm auflauerten, um ihn zu töten. Er entkam nur, weil der Torwächter ihm eine Warnung zurief, als er nach Hause kam. Der Wächter wurde erschossen.

Seitdem wird Mukwege, „der Mann, der die Frauen repariert“, jedes Jahr als Kandidat für den Friedensnobelpreis gehandelt. Mit internationalen Auszeichnungen wird er schon seit Jahren überschüttet. Als Leiter des Panzi-Krankenhauses in Bukavu, der über eine Million Einwohner zählenden Hauptstadt der ostkongolesischen Provinz Südkivu, hat er seit 1999 eine weltweit beachtete Abteilung zur Behandlung vergewaltigter Frauen aus den Kriegsgebieten des Ostkongo aufgebaut. Es geht dabei um weit mehr als um Vergewaltigungen, wie Mukwege selbst in einer viel beachteten Rede vor dem Weltgipfel gegen sexuelle Kriegsgewalt in London dieses Jahr eindringlich mahnte.

Vernichtung von Familien

Es geht um unvorstellbare Misshandlung und Folter, um Gruppenvergewaltigung mit scharfen Gegenständen vor den Augen der als Geiseln genommenen Angehörigen, um irreparable körperliche und seelische Schäden, um physische und psychische Zerstörung und Vernichtung von Familien und Gemeinschaften. Das Panzi-Krankenhaus in Bukavu ist zusammen mit dem Heal-Africa-Krankenhaus in Goma, der Hauptstadt der Nachbarprovinz Nordkivu, eine der ganz wenigen Anlaufstellen, wo solche halb tot gefolterten Frauen kompetente Aufnahme, Behandlung und Pflege finden können. Es hat in den 15 Jahren seiner Existenz schätzungsweise 40.000 Patientinnen aufgenommen.

Es ehrt das Europaparlament, dass es diesen Einsatz jetzt würdigt, nachdem Mukwege bereits zig andere internationale Preise erhalten hat, vom Sondermenschenrechtspreis der Republik Frankreich 2007 bis zum Alternativen Nobelpreis 2013. Erst am 16. Oktober nahm der Kongolese den Solidaritätspreis des Sankt-Peter-Universitätskrankenhauses in Brüssel entgegen.

Man ahnt, dass Mukwege inzwischen vor allem das globale Aushängeschild seiner Arbeit im Kongo ist. Man darf sich dabei fragen, ob die schier endlose Aneinanderreihung internationaler Auszeichnungen nicht auch ein Alibi darstellt. Jeder Preis für Mukwege ist zugleich eine Gewissensberuhigung für die internationale Staatengemeinschaft, jedes Preisgeld bedeutet eine Entlastung für Kongos Regierung. Es wäre ja eigentlich ihre Aufgabe, der sexualisierten Kriegsgewalt im Ostkongo ein Ende zu bereiten und einen angemessenen Umgang mit Opfern wie mit Tätern zu finden, der Ersteren ein Weiterleben in Würde und Letzteren einen Neuanfang mit Perspektiven bietet.

Im September 2012 legte Mukwege vor der UN-Generalversammlung den Finger in genau diese Wunde. „Eure Exzellenzen“, begann er seine Ansprache, „ich hätte gerne meine Rede mit der üblichen Formulierung begonnen: Es ist mir eine Ehre und ein Privileg, vor Ihnen das Wort zu ergreifen. Aber den Opfern sexueller Gewalt im Ostkongo wurde die Ehre genommen. Ich sehe sie ständig: die alten Frauen, die jungen Mädchen, die Mütter, sogar die Babys, entehrt … Ich hätte gerne gesagt: Es ist mir eine Ehre, Teil der internationalen Gemeinschaft zu sein, die Sie hier vertreten. Aber das kann ich nicht. Wie kann ich Ihnen das sagen, den Vertretern der internationalen Gemeinschaft, wenn die internationale Gemeinschaft sechzehn Jahre lang im Kongo Angst und Mutlosigkeit bewiesen hat? Ich hätte gerne gesagt: Es ist mir eine Ehre, mein Land zu vertreten. Aber das kann ich nicht. Wie kann man stolz sein, einer Nation anzugehören, die sich nicht wehrt, die sich selbst bekämpft, ausgeplündert und machtlos? Nein, es ist mir keine Ehre und kein Privileg, heute hier zu sein. Meine Ehre ist es, mit den mutigen Frauen zu sein, die Opfer von Gewalt geworden sind, die sich wehren, die trotz allem aufrecht stehen.“

Wenige Wochen später erfolgte der Mordanschlag auf Mukwege in Bukavu. Der Arzt hatte nämlich auch unangenehme politische Forderungen gestellt. Die Opfer sexueller Gewalt und Folter, sagte er 2011 in London, bräuchten auch Gerechtigkeit und Entschädigungen – und zwar seitens der kongolesischen Regierung, da viele der Täter Soldaten seien, die aus diversen Milizen kommen. „Viele kämpften schon, als sie Kinder waren“, erklärte Mukwege. „Sie erfuhren Gehirnwäsche, um zu töten und zu vergewaltigen. Sie sind nicht rehabilitiert worden, und jetzt sind sie Soldaten. Sie sind gefährlich. Sie verändern ihr Verhalten nicht, bloß weil sie eine neue Uniform anziehen. Wie kann jemand, der gestern vergewaltigte, heute Frauen schützen?“

Der Sacharow-Preis für Mukwege wäre ein guter Anlass, daran zu erinnern, dass die kongolesische Armee und der kongolesische Staat seit Ende des Kongokrieges im Jahr 2003 maßgeblich mit EU-Hilfe aufgebaut werden. Eine EU-Ausbildungsmission „Eusec“ sorgt seit fast zehn Jahren für den Aufbau der kongolesischen Regierungsarmee FARDC, bildet Offiziere aus, organisiert die Soldzahlung und soll die sogenannte Sicherheitssektorreform vorantreiben – jenes ominöse, nie tatsächlich umgesetzte Reformwerk, das dem Kongo irgendwann einmal professionelle, gesetzestreue und verlässliche Streitkräfte geben und die vielen Tausend Kriminellen in Uniform aus dem aktiven Dienst entfernen soll. Eine ähnliche Mission namens Eupol berät Kongos Polizei, darunter vermutlich auch die Menschenrechtsverletzer in Kinshasa, deren Nennung jetzt den UN-Menschenrechtsbeauftragten seinen Job gekostet hat.

Vergewaltiger in Uniform

Wegen offensichtlichen Erfolglosigkeit wird Eusec derzeit abgewickelt. Ob Kongos Vergewaltiger in Uniform jemals ihre Uniformen ausziehen müssen, ist fraglich. Ein groß angelegtes Demobilisierungsprogramm für Rebellen und Milizionäre im Kongo steht vor dem Scheitern, bevor es richtig begonnen hat: Dutzende Kämpfer sind in einem Demobilisierungslager verhungert – einem Lager, das auch von europäischen Diplomaten besucht worden ist.

Von den zwischen 2003 und 2011 gezahlten europäischen Hilfsgeldern für Kongo, insgesamt 1,9 Milliarden Euro, ist eine Milliarde spurlos verschwunden, stellten die EU-Rechnungsprüfer vergangenes Jahr fest. Reformansätze versanden, weil ihre Träger auf andere Posten versetzt werden; Förderprogramme bleiben wirkungslos; Menschenrechtler können nicht mit internationalem Schutz rechnen.

Aber welche Lehren zieht die EU daraus? Die EU zeichnet Kritiker der kongolesischen Zustände aus und unterstützt diese Zustände zugleich stillschweigend. Denis Mukwege schweigt nicht. Er soll seinen Preis am 26. November in Straßburg entgegennehmen. Mal sehen, was ihm blüht, wenn er danach nach Bukavu zurückkehrt.