Gerechtigkeit für die Geistkraft

„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort … Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“ (Johannes, 1, 1 & 14) „Aber fleischlich gesinnt sein ist der Tod, und geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede.“ (Römer 8, 6) „Lobe den HERRN, meine Seele“ (Psalm 103,1) „Und (Jesus) sprach: ‚Abba, mein Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir.‘“ (Markus 14, 36) „Ich aber sage euch …“ (Markus 5, 22)

Lutherbibel, 1984„Am Anfang war die Weisheit und die Weisheit war bei Gott und die Weisheit war wie Gott … Und die Weisheit wurde Materie und wohnte unter uns.“ „Eine begrenzte Lebensperspektive bedeutet Tod, eine an der Geistkraft ausgerichtete Perspektive Leben und Frieden.“ „Segne die Eine, du meine Lebenskraft.“ „Er sagte: ‚Gott, Ursprung, von dem ich herkomme, dir ist alles möglich. Lass diesen Kelch an mir vorübergehen.“ „Ich lege euch das heute so aus …“

Bibel in gerechter Sprache, 2006

AUS LÜBECK UND HAMBURG PHILIPP GESSLER

„Das Wort sie sollen lassen stahn und kein’ Dank dazu haben.“ Martin Luther

Wieder ein Wagnis. Das Leben von Bärbel Wartenberg-Potter hat einige davon zu bieten in letzter Zeit. Heute ist es das Wetter, das gut sein muss, obwohl man in Lübeck Sonne im Frühling nicht unbedingt erwarten darf. Doch festen Glaubens an Petri Gunst eilt nun die Bischöfin der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche zur ersten Stuhlreihe vor der Freilichtbühne. Als Ehrengast auf diesem „Bibel heute“-Abschlussfest darf sie nicht fehlen. Der Platz neben Manfred Kock ist noch frei. Früher war er Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Freudig springt er auf, umarmt die Bischöfin: „Wir müssen Sie stützen“, sagt er, kaum vernehmlich. „Ich freue mich, dass Sie da sind“, antwortet Bärbel Wartenberg-Potter.

Was wie der Austausch bloßer Höflichkeiten aussieht, ist weitaus ernster gemeint. Bärbel Wartenberg-Potter hat Stütze von so angesehenen Leuten wie Manfred Kock derzeit dringend nötig. Denn die Bischöfin ist die engagierteste Förderin eines Buches, das in der evangelischen Kirche der Bundesrepublik zur Zeit für erbitterten Streit, ja scharfe Polemik sorgt. Das ist eine kleine Sensation in einer Kirche, in der sich die Geistlichen gern mal mit Bruder Kock oder Schwester Wartenberg-Potter anreden.

Schwester Wartenberg-Potter ist im Förderbeirat der Bibel in gerechter Sprache. Das 2.400-seitige Opus übersetzt die teilweise 3.000 Jahre alten Bücher der Bibel neu, und zwar erstmals nach den Gesichtspunkten der feministischen und der Befreiungstheologie, geprägt vom jüdisch-christlichen Dialog. Fünf Jahre lang haben 52 Übersetzerinnen und Übersetzer die alten Schriften radikal überarbeitet. Geschlechtergerecht soll diese Bibel daherkommen, das vor allem. Zum Beispiel: DER Vater im Himmel wird, wo möglich, zu „Mutter und Vater“. SEIN SOHN Jesus zum „geliebten Kind“. Und DER Heilige Geist wird „die heilige Geistkraft“ genannt.

Der alte Schinken Bibel

Viele wollen das lesen. Der alte Schinken Bibel ist in seiner „gerechten“ Version zu einem Bestseller geworden: Über 55.000 Exemplare der „Bibel in gerechter Sprache“ (Preis: 29,95 Euro) sind schon verkauft. Eine vierte Auflage wird erwogen.

Das gerechte Wort Gottes in aller Munde, so kurz vor dem Evangelischen Kirchentag in Köln und nun zu Pfingsten, dem Hochfest der Kirche, in manchen Gottesdiensten – da könnten doch alle froh sein. Das Gegenteil ist der Fall. „Irrlehre“, „Machwerk“, gar „Ketzerei“ sind die noch harmlosen Anwürfe, mit denen die Bibel in gerechter Sprache in den vergangenen Wochen kommentiert wurde.

Bärbel Wartenberg-Potter, 63, stemmt sich, norddeutsch trotzig, gegen diesen Sturm, sie verteidigt das Werk unbeirrt. Selbst hier im Halbrund der Freilichtbühne, umgeben von Hunderten Kindern und Jugendlichen, die bei einem Bibel-Wettbewerb mitgemacht haben, kann sie es sich nicht verkneifen, eine kleine Bemerkung zum Bibelstreit zu machen: „Unsere Geschichte steht in diesem Buch“, sagt sie. Deshalb sollte man es lesen – „auch in den modernen Versionen, möchte ich mal dazu sagen“. Die wenigen Erwachsenen lachen kurz.

Die Bischöfin soll gehen

Pastor Rüß ist das Lachen über derlei Witzchen schon länger vergangen. Der Hamburger gehört zu den erbittertsten Gegnern dieser Übersetzung. Als 1. Vorsitzender der „Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Nordelbien“ hat er Ende April eine Resolution unterzeichnet. Im Namen seiner konservativen Organisation fordert er darin etwas Unerhörtes: Als Unterstützerin der Bibel in gerechter Sprache fördere Bischöfin Wartenberg-Potter „die Verfälschung des Wortes Gottes und die darin vertretene Irrlehre“, schrieb die Sammlung. Damit disqualifiziere sie sich „für ein kirchenleitendes Amt“. „Wir fordern sie daher auf, von ihrem Bischofsamt zurückzutreten, um Schaden von der Kirche fernzuhalten.“

Außerdem rät die Kirchliche Sammlung konservativen Protestanten, in „bekenntnistreue Gemeinden“ zu wechseln, sollte ihr Protest gegen die Bibel in gerechter Sprache nichts bewirken. Würde dieser Rat befolgt, wäre das der Beginn einer Spaltung, eine kleine Revolution oder Reformation in der Kirche Luthers.

Pastor Rüß, ein gut aussehender hochgewachsener Mann, amtiert in der Kirche St. Johannis in Hamburg-Eppendorf. Die frühere Dorfkirche steht heute mitten in der Hansestadt. Der gedrungene uralte Bau ist als „Hochzeitskirche“ bekannt, und wenn man hineingeht, versteht man sofort, warum: Hell und freundlich ist die Kirche, traditionell, aber heiter. Pastor Rüß sitzt im Büro seines Pfarrhauses hinter dem kleinen Kirchenschiff, die Fenster gehen zum Garten raus. Auch er hat hier geheiratet, vor zwei Jahren mit 61 Jahren. Ein Bild von seiner Braut ist nicht zu übersehen, die Heirat war dem Hamburger Abendblatt einen längeren Artikel wert. Rüß traut viele Prominente, er ist selbst von lokaler Prominenz.

Vielleicht erklärt diese heile Welt des Luthertums, warum Rüß so wenig mit der Bibel in gerechter Sprache anfangen kann. „Sie ist nicht nur in theologischer Sicht bekenntniswidrig“ wettert er, „sondern auch philologisch falsch. Im Gymnasium würde ich für eine solche Übersetzung eine 5 oder 6 bekommen.“ Empört blättert er in dem dicken Buch. „Wenn ich alles hier anstreichen würde, was schlicht falsch ist, käme ich gar nicht raus damit“, sagt er in hanseatischem Slang. „Ich habe jungen Frauen aus meinem Bekannten- und Verwandtenkreis Auszüge aus dieser Bibel vorgelegt: Die haben sich an den Kopf gefasst und gemeint, diese Art von Feminismus sei doch von vorgestern.“ Die Bibel in gerechter Sprache, sagt er, „entspricht dem Geist des Gutmenschentums und des Zeitgeistes und ist Ideologie. Alles wird auf das Gender-Thema hin frisiert. Das schadet der Kirche.“

Rüß hat sich in Fahrt geredet: Die Bibel verliere durch diese Übersetzung „alle Ecken und Kanten“, ganz nach dem Motto „Was für mich wahr ist, bestimme ich.“ Neben Rüß’ Schreibtisch liegt das neue Buch von Papst Benedikt XVI. Ähnlich engagiert hat sich der Pastor vor Jahren gegen die Segnung homosexueller Paare gewandt. Dass gleichgeschlechtliche Partner von Pastoren mit ins Pfarrhaus ziehen, ist ihm, das wird deutlich, ein Gräuel. Aber darum geht es ihm heute nicht. Rüß will über diese Bibel und ihre Folgen reden: „Es gab in meiner Gemeinde ein allgemeines Entsetzen darüber, wie kirchenleitende Menschen so etwas wie die Bibel in gerechter Sprache fördern können.“

Der Satz geht gegen seinen Bischof Hans Christian Knuth, Amtsbruder der Lübecker Bischöfin. Der hat die Rücktrittsforderung als „abwegig“ zurückgewiesen: In der Nordelbischen Kirche „kann man auch anderer Meinung sein“. Eine Bestätigung für Rüß und die Kirchliche Sammlung hingegen war die Stellungnahme des Rates der EKD, die gerechte Bibel sei lediglich als „ergänzende Bibelausgabe“ zu empfehlen, sie eigne sich „generell nicht für die Verwendung im Gottesdienst“.

„Das ist unprotestantisch“

Bischöfin Wartenberg-Potter musste das treffen. „Am Anfang habe ich Kritik eher sportlich genommen“, sagt sie, „später aber ist die Tonlage abgerutscht. Etwa bei den Vorwürfen: ‚Sie verraten die Kirche‘ oder ‚Sie sind dem Evangelium untreu‘.“ In ihrem schlichten Büro stapelt sich ihr neues Buch „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“, heißt es. Es ist eine Auslegung der Bergpredigt nach der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache. An der Wand hängt eine Zeichnung, die den Gekreuzigten zeigt – er beugt sich vom Kreuz herab, um Menschen die Hand zu geben.

„Zum Teil äußert sich in Zuschriften auch von Kirchenmitgliedern eine atavistische Wut und Aggressionen, die mir Angst machen“, sagt die Bischöfin. „Das ist ganz unprotestantisch. Wir suchen den Diskurs.“ In der Ablehnung durch den EKD werde „etwas Fundamentalistisches sichtbar. Solche Verbote auszusprechen – wo gab es das in der evangelischen Kirche?!“

Dass viele Theologen die Bibel in gerechter Sprache kritisieren, hat ihrer Meinung nach auch schlicht mit Unkenntnis über die feministische Theologie zu tun. Deren Protagonistinnen seien öffentlich zurückgedrängt worden, „eine Reihe guter Theologinnen sind deshalb in die USA emigriert“. Zu dieser Deutung will nicht passen, dass auch feministische Theologinnen gegen die Bibel in gerechter Sprache wettern, etwa die Tübingerin Elisabeth Moltmann-Wendel, die diesen theologischen Zweig über Jahrzehnte geprägt hat.

Und alte Rechnungen werden jetzt offenbar auch beglichen. Erst kürzlich sagte Elisabeth Moltmann-Wendel unverblümt, eigentlich sei diese Bibel und ihre Betonung der jüdischen Seite Jesu ein „Akt der Selbstreinigung“ für die Übersetzerinnen. Die wollten damit wohl die Nazi-Täter-Geschichte ihrer Familienangehörigen ausbügeln. Bärbel Wartenberg-Potter sagt dazu: „Dahinter steht ihre Befürchtung, dass die feministische Theologie durch eine jüdisch-christliche Perspektive und Diskussion der Bibel überfremdet werden könnte. Darüber haben wir uns schon vor 20 Jahren gestritten.“ Und wenn Elisabeth Moltmann-Wendel den Vorwurf erhebe, „die Übersetzerinnen seien eigentlich die Töchter von Nazi-Tätern, ist das leider eine absurde Übertreibung“.

Doch, ihr sind Verletzungen in diesem Streit zugefügt worden. Dennoch bleibt Bärbel Wartenberg-Potter dabei: Die neue Übersetzung sei nötig gewesen, die Bibel in gerechter Sprache sei „ein Versuch“, zu zeigen, was die alten Texte eigentlich meinten: „Den Luther-Text zu lesen ist heute wie Brahms oder Bach zu hören – oft weiß ich danach nicht, was ich damit mache.“

Das Bibelfest auf der Waldbühne ist zu Ende. Die Bischöfin steht auf, mischt sich unter die Kinder und Jugendlichen und geht mit ihnen gemeinsam zum Dom. Die Sonne strahlt, es hat nicht geregnet. Bärbel Wartenberg-Potter verspricht: „Ich werde die Bibel in gerechter Sprache auf jeden Fall im Gottesdienst gebrauchen. Und das werden viele andere auch.“ Und jetzt strahlt sie auch.