„Männer musst du anders anpacken“

Geboren: 1967 in Duisburg Familie: Mutter einer Tochter, liiert mit dem Unternehmer und Fußball-Mäzen Hermann Tecklenburg (früher KFC Uerdingen, heute Straelen und Düsseldorf) Fußball: Fast zwei Jahrzehnte spielte Voss auf höchstem Niveau bei KBC Duisburg, TSV Siegen und FCR Duisburg (früher FC Rumeln-Kaldenhausen). Sie holte sechs deutsche Meistertitel und fünf DFB-Pokalsiege DFB: Voss absolvierte 125 Länderspiele für die Fußballnationalmannschaft. Ihre größten Erfolge waren der Gewinn der Vize-Weltmeisterschaft 1995 mit sowie vier Europameisterschaften Karriereende: Im Jahr 2003 beendete sie mit dem DFB-Pokalfinale gegen den 1. FFC Frankfurt ihre Karriere. In diesem Spiel verlor Duisburg ausgerechnet durch ein Eigentor von Voss mit 1:0 Job: Heute betreut Voss den weiblichen DFB-Nachwuchs am Niederrhein sowie die Oberliga-Männer vom SV Straelen. Zudem ist sie Chefredakteurin des Frauenfußball-Magazins „FF“ Tipps: Beim heutigen DFB-Pokalfinale der Frauen in Berlin hofft sie auf einen knappen Sieg ihres Heimatvereins Duisburg gegen Frankfurt. Beim Männerfinale tippt Voss auf einen Erfolg von Stuttgart gegen Nürnberg

INTERVIEW ANNIKA JOERES
UND MARTIN TEIGELER

taz: Frau Voss, Sie sind die neue Chefredakteurin des einzigen Fußballmagazins für Frauen. Wollen Sie dem „Kicker“ Konkurrenz machen?

Martina Voss: Ich glaube nicht, dass wir den Vergleich suchen sollten. Unser Magazin hat wie auch der Frauenfußball eine lange eigene Tradition. Ich will dieses Blatt machen, weil in den Medien unser Fußball so wenig Beachtung findet.

Woran liegt das?

Ich glaube, die Medien haben diese Chance noch nicht begriffen. Sie sehen nicht, dass es mittlerweile schon mehr als eine Million Aktive gibt.

Sind nur die Medien blind? Es gibt ja auch viel weniger Fans.

Das ist richtig. Aber allein an diesen eine Million Spielerinnen hängen noch Familien und Freunde dran, das Interesse an den Turnieren der Nationalmannschaft ist enorm gewachsen. Natürlich ist es nicht nur einseitig – auch die Vereine könnten mehr die Werbetrommel rühren, sich besser präsentieren.

Dennoch blieb nach dem WM-Titel 2003 der häufig beschworene Boom für den Frauenfußball aus.

Die Zuschauerzahlen sind gewachsen. Ich habe noch häufig vor fünfzig Leuten gespielt, und heute sind im Schnitt immerhin 500 da. Aber die Darstellung ist schlecht. Wir werden oft gefragt, wann und wo wir spielen. Nur wenige erfahren davon. Wenn jetzt selbst Eurosport die Spiele der DFB-Juniorinnen zeigt, dann weiß das keiner. Da müssen wir was tun.

Was sind das für Mädchen, die sich für Fußball interessieren? In den USA ist es ja ein Sport der weißen Mittelschicht.

Ein klassisches Milieu gibt es hier nicht. Dass Mädchen Fußball spielen, wird heutzutage ja auch nicht mehr in Frage gestellt. Mir wurde in meiner Karriere noch fünfhundert Mal die Frage gestellt, wie ich denn eigentlich zum Fußball gekommen sei. Diese Frage wurde Lothar Matthäus nie gestellt – und heute müssen unsere Mädchen sie auch nicht mehr beantworten. Weil Frauen-Fußball in ist, weil er akzeptiert ist. Das war ein großer Schritt. Und davon sind alle Schichten betroffen: Die Mädchen kommen aus Familien, in denen auch schon der Bruder und der Vater Fußball spielen, viele kommen aber auch aus einer ganz sportfremden Umgebung. Das wächst alles.

Wie ist Ihre Prognose: Wie lange wird es dauern, bis die Bundesliga auf dem Niveau der US-Profiliga ist?

Wir können diese beiden Länder absolut nicht vergleichen. Die amerikanische Frauen-Profiliga WUSA ist entstanden, als der Frauenfußball geboomt hat, die Nationalmannschaft extrem erfolgreich war, die Leute in Massen da hin gerannt sind. Da haben sie eine Profiliga gegründet, Sponsoren und Standorte gesucht und dann spielen lassen. Mit dem Erfolg, dass es nach einem Jahr tot war. Jetzt haben auch die Amerikaner umgedacht: sie fördern eine Basis, kleinere Vereine.

Wann können Bundesligavereine mit amerikanischen Teams mithalten?

Das Gesicht der Bundesliga muss sich verändern. Unter dem sportlichen Aspekt ist sie zu groß. So lange wir Vereine haben wie in diesem Jahr Brauweiler, die keinen Punkt holen, sind die Leistungsunterschiede zu groß. Wenn schon vor dem Spiel klar ist, wer verliert, ist die Frauen-Bundesliga nicht attraktiv genug für die Medien und die Fans.

Wieso ist das Niveau der Vereine so unterschiedlich?

Weil es noch an starken Spielerinnen fehlt, um zwölf Vereine wirklich jeden Sonntag gut zu besetzen. Es muss auch spannend sein, selbst wenn die Tabellenersten gegen die Letzten spielen. Wir haben eine gewisse Zahl von Spielerinnen mit hoher Qualität, die sich aber auf etwas weniger Vereine verteilen sollten.

Wie viele Vereine sollten dann noch übrig bleiben?

Ich denke, dass die Bundesliga mit acht Vereinen optimal besetzt wäre. Dann müsste man mit Play-Offs spielen. Das ist spannend, weil das Ausscheidungsspiele sind und es nicht schon im Januar klar ist, dass wieder der FFC Frankfurt Meister wird.

Stichwort Professionalität: Träumen die Mädchen davon, in der Bundesliga zu spielen?

Ja, natürlich. Sie wissen aber schon, dass sie vom Spielen nicht werden leben können. Das wird nie die Existenzgrundlage der allermeisten Fußballerinnen sein. Deswegen müssen sie ja auch immer mehr tun: Jeder Junge, der in der Auswahlmannschaft ist, kann davon träumen, Profi zu werden. Er wird über die Lizenzspielervereine in die Internate geholt, er bekommt Hilfe, diesen Weg zu gehen. Bei den Mädchen ist es anders. Sie wissen, sie müssen ihren vernünftigen Schulabschluss machen. Wir haben Nationalspielerinnen, die mitten in der Ausbildung stehen. Wir haben Junioren-Spielerinnnen, die siebzig Tage im Jahr dem Unterricht fern bleiben müssen.

Die ehemalige deutsche Nationalspielerin Maren Meinert sagte mal, dass in Deutschland unter den Frauen die Einstellung zum Profidasein fehlt. Teilen Sie diese Kritik der Ex-USA-Profispielerin?

„Wenn schon vor dem Spiel klar ist, wer verliert, ist die Frauen-Bundesliga nicht attraktiv genug für die Medien und die Fans“ „Der DFB ist sicherlich unter Präsident Theo Zwanziger weitaus engagierter beim Frauenfußball als unter seinem Vorgänger“

Vielleicht gibt es Einzelfälle, die den Fußball nicht über alles stellen. Aber so lange ich meine Existenz nicht mit dem Fußball absichern kann, muss ich mein Leben auch nach anderen Dingen ausrichten. Das ist nur verständlich. Außerdem: Ich weiß auch nicht, ob jeder Profispieler eine professionelle Einstellung hat.

Müsste der DFB mehr für die Spielerinnen sorgen, zum Beispiel Internate bauen?

Der DFB ist sicherlich unter Theo Zwanziger weitaus engagierter als unter seinem Vorgänger.

Ex-DFB-Boss Mayer-Vorfelder galt als Chauvi und hat guten Spielerinnen schon mal eine Geschlechtsumwandlung nahegelegt.

Zwanziger hat jedenfalls sein Herz für den Frauenfußball entdeckt und will Schulen und Internate schaffen. Die Vereine haben dafür kein Geld.

Könnte die Frauen-WM 2011 in Deutschland den großen Sprung nach vorne bringen?

Wenn wir die WM hier austragen können – wovon ich überzeugt bin – wäre das ein ganz wichtiger Schritt und würde vieles enorm erleichtern und beschleunigen.

Werden es die Frauen dann nicht mehr nötig haben, dass sie ihr Pokalfinale vor den grölenden Fans des Männerpokalendspiels austragen?

Das ist ja gewünscht. Es gab eine Umfrage unter den Frauenvereinen, ob sie ihr eigenes Pokalfinale austragen wollen – die Mehrheit war dagegen. Es hat eine Tradition in Berlin, jede freut sich darauf, die Atmosphäre ist toll, das Fernsehen ist dabei.

Also kein Wechsel von Berlin nach Gelsenkirchen?

Auch wenn nicht alle Fans das Spiel wirklich sehen wollen, ist das Interesse gestiegen. Es besteht die Angst, dass sich bei einem reinen Frauenturnier vielleicht dreitausend Zuschauer in die Schalke-Arena verlieren. Dann ginge etwas von der tollen Atmosphäre verloren.

Ist es nicht frustrierend, weniger Aufmerksamkeit zu erhalten als die männlichen Spieler und Trainer?

Natürlich war es toll, in Amerika vor 70.000 Zuschauern zu spielen. Das ist etwas ganz anderes und motiviert. Aber wenn du Leistung bringen willst, bringst du sie aus Deiner Leidenschaft heraus, das ist eine grundsätzliche innere Einstellung. Wir haben bei unserer Pionierarbeit immer das Positive gesehen.

Nerven Sie die Vergleiche mit dem Männersport?

Wir wollen den Vergleich nicht. Frauenfußball ist eine eigene Sportart. Es wird zwar nach den gleichen Regeln gespielt, aber der Vergleich hinkt. Niemand lässt eine Frau gegen einen Mann hundert Meter laufen oder Steffi Graf gegen Boris Becker spielen, Regina Halmich nie gegen Henry Maske boxen.

Martina Voss war eine der erfolgreichsten deutschen Fußballspielerinnen. Als Jugendtrainerin und Journalistin arbeitet die Alt-Nationalspielerin am Daueraufschwung der Sportart und einer Ligareform. Beim Frauenpokalfinale am heutigen Samstag drückt Voss natürlich Ex-Club Duisburg die Daumen

Trotzdem kommen die Vergleiche: Wo würde die vielleicht beste deutsche Frauenmannschaft im Männervergleich stehen – in der Regionalliga, in der zweiten Liga?

Wenn es nur um Technik und Taktik ginge, könnten die Spielerinnen das selbe Niveau erreichen. Birgit Prinz ist genauso gut wie Miro Klose. Aber die Athletik ist nicht dasselbe und deswegen könnten Frauen nie in der Regionalliga spielen.

Sie trainieren ja auch die Männermannschaft Straelen. Was sind die Unterschiede zu der Arbeit mit Frauenteams?

Die Inhalte und die taktischen Ausrichtungen sind natürlich dieselben. Aber es ist ein großer Unterschied in der Mannschaftsführung, in der Ansprache. Mädchen sind selbstkritischer, hören mehr zu. Männer musst Du anders anpacken. Jungs, die schon lange Fußball spielen, meinen immer, alles besser zu wissen.

Männer sind derber?

Klar, sie sprechen ganz anders untereinander. Wenn ich dabei bin, reden sie allerdings so, wie es sich gehört. (lacht) Das ist auch mein Vorteil: Sie bringen mir großen Respekt dagegen.

Sie lassen sich auch von einer weiblichen Ex-Nationalspielerin was sagen?

Irgendwann ist egal, ob da ein Mann oder eine Frau steht oder eine Nationalspielerin. Nach vier Wochen ist die Vergangenheit weg, da muss die Mannschaft dir glauben. Da könnte ich fünfhundert Länderspiele haben und aussehen wie Claudia Schiffer, irgendwann geht es nur noch um Qualität und Akzeptanz.