Langsam kommt der Geschmack

Der Stader Bäcker Wolfgang Heyderich hat sich dem geduldigen Backen verschrieben. Nur so kann er auf die ausgetüftelten Fertigmischungen der Industrie verzichten, die sein Handwerk zwar zum Kinderspiel machen, das Brot aber einheitlich und fad

VON THOMAS JOERDENS

„Ich brauche bis heute Nachmittag vier Bleche Butterkuchen. Kriegen Sie das hin?“, will ein Mann wissen. Die Verkäuferin blickt zum Chef, der gerade im Verkaufsraum steht. Wolfgang Heyderich schüttelt langsam den Kopf, auf dem eine Baseballkappe sitzt. „Der Teig muss ja allein zwölf Stunden gehen, sonst schmeckt der Kuchen nach nichts“, antwortet der Konditormeister und Bäcker. Der Kunde sucht woanders sein Glück.

Wolfgang Heyderich macht ein Tja-so-ist-das-Gesicht und zuckt mit den Achseln. Vor einigen Jahren hätte er den Auftrag wahrscheinlich angenommen, als er den Teig für Kuchen, Teilchen, Torten, Brote und Brötchen noch mit Vormischungen der Backmittelindustrie anrührte. Die Hersteller bieten für jedes Bäckereiprodukt Zusätze aus der Tüte an, die die Gehzeiten auf ein Minimum verkürzen und den Backerfolg garantieren.

Ein lohnendes Geschäft für die Industrie und eine Arbeitserleichterung für die Bäcker, die länger schlafen können. Doch in der Folge dieses über 40 Jahre andauernden Trends schmecken Kuchen, Brote und Brötchen heute flächendeckend gleich und die Bäcker verlernten ihr Handwerk.

Wolfgang Heyderich, der in Stade die Konditorei und Bäckerei Café Heyderich mit drei Verkaufsstellen betreibt, vollzog vor zwei Jahren die Wende. Er wurde zum bekennenden Langsambäcker, der nach den Regeln des Oldenburger Vereins Slow Baking arbeitet. Der schlanke 42-Jährige mit der randlosen Brille im jungenhaften Gesicht verzichtet auf sämtliche künstlichen Treibmittel oder Zusatzstoffe wie Stabilisatoren und Emulgatoren. Er setzt ausschließlich auf natürliche Zutaten, lange Teigführungen und alte Backmethoden. Bei Heyderich benötigen etwa Brötchen von der Teigzubereitung bis zum Fertigbacken bis zu 48 Stunden anstatt der heute üblichen 120 Minuten.

Daniel Fichtler steht in der Backstube, in der ein schwerer Hefegeruch hängt. Der Teigmacher gönnt der hellgelben, klebrigen Masse aus Mehl, Wasser, Molke, Hefe, Meersalz, Butter, Zucker und Acerolakirschpulver immer wieder Ruhe- und Gehphasen. Traditionell hergestellte Teige sind sensibel und verzeihen im Gegensatz zu den Ansätzen aus Vormischungen keine Fehler. Der Geselle, der mit einem Kollegen sieben Tage in der Woche abwechselnd ab Mitternacht in der Backstube steht, prüft regelmäßig die Temperatur und nach dem Kneten die Konsistenz.

Bevor die Teiglinge in den warmen Gärraum kommen, werden sie zwölf bis 16 Stunden bei null Grad gekühlt. „Diese Zeit ist nötig, damit die Hefepilze langsam die vollen Aroma- und Geschmacksstoffe entwickeln können, die nach dem Backen in die Kruste wandern“, erklärt der Bäcker. Zur ausgedehnten Teigführung kommt außerdem eine längere und schonendere Backzeit. Heyderichs Knüppel aus der computergesteuerten Backstube schmecken intensiv nach Brötchen, bleiben lange frisch und knusprig. Sie haben wenig gemein mit den Discounter-Brötchen, die nach dem Erkalten oft zu zähen Kaupappen werden. Dafür greifen Heyderichs Kunden eben ein wenig tiefer in die Tasche. Ein Knüppel kostet 30 Cent.

Nach den Prinzipien von Slow Baking stellt Wolfgang Heyderich alle seine Backwaren her. Der Mittelständler betreibt eines von zwölf Unternehmen in Deutschland, die von dem 2003 gegründeten Verein bislang voll zertifiziert worden sind. 15 weitere Bäcker und Konditoren haben jeweils zehn Slow Baking-Produkte im Angebot. Bei 400 Mitgliedern ist das ein mageres Ergebnis. Das findet auch der Vereinsvorsitzende Ingo Rasche, selbst Bäcker und Konditormeister aus dem westfälischen Löhne. Deshalb will Rasche neben den regelmäßig stattfindenden Slow Baking-Fachseminaren öffentliche Geschmacksschulen oder Verkostungen veranstalten, um Slow Baking einem größeren Publikum bekannt zu machen. Zudem schwebt dem Vereinschef eine Zusammenarbeit mit der etablierten Slow Food- Bewegung vor. Die Langsambäcker würden sich gerne bei den Langsamessern einklinken.