Windkraft auf fünf Etagen

Im niedersächsischen Bardowick steht eine der letzten Windmühlen, deren Flügel sich nicht nur für Touristen drehen: Der Müller Eckhard Meyer mahlt sein Getreide mit Windkraft. Am Deutschen Mühlentag am Pfingstmontag lädt er Besucher ein und zeigt ihnen Mahlsteine und Rüttelschuh

Jedes Jahr wird am Pfingstmontag der Deutsche Mühlentag gefeiert. Der diesjährige Schirmherr, Bundeswirtschaftsminister Michael Glos, ist selbst Müllermeister. In den fünf Nord-Bundesländern öffnen am Montag mehr als 300 Wind- und Wassermühlen ihre Pforten und bieten den Besuchern ein buntes Programm, in ganz Deutschland machen mehr als 1.000 Mühlen mit. Alleine in Ostfriesland sind fast 70 Mühlen zu besichtigen. Eine Übersicht gibt es im Internet auf www.muehlen-dgm-ev.de. Auch der Bardowicker Mühlenverein feiert ein Fest mit Führungen durch die Mühle, Kutschfahrten und Musik. Für Interessierte lohnt sich außerdem ein Besuch im Internationalen Mühlenmuseum in Gifhorn: Dort sind in einem großen Park 13 Wind- und Wassermühlen und 40 Mühlenmodelle zu sehen. Die ersten Müller der Menschheitsgeschichte waren die Alten Römer, die die Wassermühle erfanden. Die Windmühle wurde viele Jahrhunderte später von holländischen Baumeistern perfektioniert. Auch die Bardowicker Mühle ist ein so genannter Galerieholländer. KC

AUS BARDOWICK KARIN CHRISTMANN

„Vorsicht vor den Flügeln“ warnt Eckhard Meyer, bevor er den Weg auf die Galerie freimacht. Er zieht an einer langen Metallkette und löst damit die Bremsen von den Flügeln. Ein Gewicht, das er an eine andere Kette hängt, schließt die Flügelklappen. Knirschend setzen sich die Flügel in Bewegung. Meyer klettert ins Innere zurück und holt die ersten beiden Jutesäcke voller Mais. Er hat sich seinen Lebenstraum erfüllt: Meyer ist einer der letzten gewerblichen Müller in Deutschland, die mit Windkraft mahlen. Seine Mühle steht in seinem Heimatdorf Bardowick in Niedersachsen, wenige Kilometer vor Lüneburg.

Aus den beiden Säcken Mais wird Tierfutter für den Futterladen im Erdgeschoss. Außerdem gibt es noch einen Naturkostladen, in dem Meyers Mitarbeiter auch das selbst gemahlene Bio-Getreide verkaufen. Der Laden wirft das meiste Geld ab: Vom Mahlen allein könnte der Müller nicht leben. Seine Windmühle kann nicht mit elektrischen Mühlen konkurrieren. „Die klassische Kundschaft einer Mühle gibt es gar nicht mehr“, sagt Meyer: Die kleinen Dorfbäcker sind längst ausgestorben.

Meyer verbringt rund sechs Stunden seines Arbeitstages mit dem Müllerhandwerk. Zusammen mit einem Gehilfen sorgt er für Getreidenachschub und füllt das gemahlene Getreide in Säcke ab. Meyer bemerkt schnell, falls etwas in der Mühle nicht rund läuft: „Ich arbeite nach Gehör“. Die vielen Räder, Rohre, Leitungen und Klappen der Mühle verteilen sich auf fünf Etagen, zwischen denen steile, ausgetretene Holzstiegen hin und her führen. Ganz oben drehen sich fünf Zahnräder aus Holz, die von den Flügeln angetrieben werden. Der intensive Getreidegeruch der unteren Etagen kriecht zwischen den Bodendielen empor. Die oberste Etage ist für Touristen tabu, denn die Räder sind groß und drehen sich schnell.

Meyer hat seine Mühle von seinem Vater übernommen und mahlt in sechster Generation. Ein paar Dörfer weiter, in Handorf, baute ein Vorfahr die erste Mühle der Familie. Sie stand unter keinem guten Stern: In den 1930er Jahren wurde ein Besucher von den drehenden Mühlenflügeln erschlagen, später vertrank ein Verwandter von Eckhard Meyer die Mühle. Heute ist nur noch der Betrieb in Bardowick übrig.

In den mittleren Stockwerken stehen die Mahlwerke mit den Mahlsteinen, die bis zu anderthalb Tonnen wiegen. Eckhard Meyer mahlt nicht aus Traditionsbewusstsein mit Windkraft, sondern aus ökologischer Überzeugung: In den achtziger Jahren protestierte er im Wendland gegen die Atomkraft, war BUND-Mitglied – und eröffnete schon damals in der elterlichen Mühle einen Naturkostladen. Für diese Idee musste er am Anfang kämpfen: „Mein Vater hatte für den Laden nicht viel übrig“.

Ganz ohne Strom geht es auch in Meyers Windmühle nicht. Zwei Drittel seines Getreides mahlt der Müller mit Öko-Strom, denn sonst wäre er sofort pleite. Solange nur der Wind das Getreide mahlt, hält sich der Lärm in der Mühle in Grenzen: Zu hören ist vor allem der so genannte Rüttelschuh, der dafür sorgt, dass das Getreide gleichmäßig zwischen die Mahlsteine kommt. Generationen von Schulkindern haben ihn besungen, vermutlich ohne überhaupt seinen Namen zu kennen: Der Rüttelschuh steckt hinter dem Klappern am rauschenden Bach. Die nächsten Zeilen des Liedes sind aber veraltet: „Bei Tag und bei Nacht, ist der Müller stets wach“, galt nur früher, als die 100 bis 150 Windtage im Jahr voll ausgenutzt werden mussten.

Meyer führt die Familientradition der Müllerei fort, zur Windkraft musste er aber zurückkehren: Die Bardowicker Mühle war seit 1952 flügellos und mahlte nur noch elektrisch. Eckhard Meyer hatte nicht einmal vor, die Mühle zu übernehmen, bis Ende der Achtziger Jahre ein Kunde von einer erhalten gebliebenen Windmühle in Ostfriesland erzählte. Die Familie schaute sich die Mühle an, Meyer junior war begeistert – und plante, die Familienmühle zu restaurieren. Sein Vater Manfred hatte schon lange von einer Restauration geträumt: „Wenn ich nicht gewusst hätte, dass mein Sohn die Mühle übernimmt, wäre ich es nicht angegangen“, sagt er.

Im Jahr 1995 hatte die Mühle neue Flügel. Irgendwann könnte Eckhard Meyers sechsjähriger Sohn dafür sorgen, dass sie sich weiter drehen. Sein Großvater Manfred erzählt, er habe sein ganzes Leben in die Mühle gesteckt: „Deshalb würde ich mich natürlich freuen, wenn mein Enkel sie einmal übernehmen würde.“ In jedem Fall sind die Flügel ein Magnet für Touristen. Die werden immer wichtiger, seit die Bio-Lebensmittel, die es im Mühlen-Laden gibt, ihren Weg in die Lebensmitteldiscounter gefunden haben. Angst vor der Zukunft hat Eckhard Meyer aber nicht. Auch seine Arbeitsumgebung sorgt für Ausgelassenheit: Direkt hinter der Mühle beginnen grüne Felder, von Zeit zu Zeit kräht ein Hahn und die Mühlenflügel drehen sich im Wind.