Perverse auf weißem Band

Eine absurde Wintersportsaison geht ihrem Ende entgegen. Ohne Kunstschnee geht schon lange nichts mehr – Langläufer, Alpinskifahrer und Biathleten werden zunehmend kritisch beäugt

Düsseldorf ist schneesicher. Klassische Wintersportorte tun sich bei warmem Wetter schwer, Hänge und Loipen zu beschneien

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Jetzt ist er einer der Größten seiner Zunft. Tobias Angerer hat zum zweiten Mal den Gesamtweltcup der Langläufer gewonnen. Vielen ist das nicht gelungen. „Jetzt stehe ich auf einer Stufe mit Björn Dählie, Per Elofsson und Gunde Svan“, freute er sich, als feststand, dass er die große Kristallkugel auch in dieser Saison gewinnen würde. Ein Bayer in guter skandinavischer Gesellschaft. Am Wochenende wollte Angerer noch einmal auf sich aufmerksam machen. Am Holmenkollen bei Oslo gab er alles im Skimarathon und wurde Zweiter. Sieger Odd-Björn Hjelmeset durfte dem norwegischen König die Hand schütteln. Diese Ehre blieb Angerer versagt. Für den besten Langläufer des Winters geht die Saison völlig unspektakulär zu Ende. Noch einmal geht er in die Loipe, am nächsten Wochenende im schwedischen Falun. Dann wird gefeiert. Ein wenig Urlaub will er machen. Dann beginnt er wieder mit dem Training – auf den Skirollern. Er läuft dann ohne Schnee Ski.

Im Oktober hatte die Saison für ihn begonnen – in Düsseldorf. Der Weltcupzirkus sprintete auf einem dünnen Schneeband an milden Herbsttagen das Rheinufer entlang. Der Schnee hierfür kommt aus der Region – aus einer Skihalle in Neuss. Düsseldorf ist schneesicher. Anders als so mancher Wintersportort. Etliche Rennen mussten wegen Schneemangels abgesagt oder verlegt werden. Das betraf nicht nur die alpinen Skisportler, die seit Jahren über das Wetter schimpfen. Nur wo das in die Landschaft verlegte Schneeband nicht allzu sehr abschmolz, konnte gelaufen werden.

Absurde Bilder gingen um die Welt. Ein wässriges, graues Eisband, das sich durch den Thüringer Wald schlängelte, als Oberhof zum Biathlon-Weltcup lud. Ein weißes Band, ebenfalls für die Biathleten verlegt, in der Gebirgslandschaft von Hochfilzen. Slalomrennen auf einem breiten weißen Band eingerahmt von grün-braunen Bergwiesen. Dass der beste lebende Langläufer Angerer nicht wie ein Superstar durch Sportsendungen und Sofatalkshows tourt, liegt nicht nur daran, dass er eine sogenannte Randsportart betreibt. Der Schneesport verliert seinen Sinn, wenn es keinen Schnee mehr gibt.

„Verrückte Ausmaße“ habe die Präparierung von Loipen in diesem Winter angenommen, meldete sich Winfried Hermann, Bundestagsabgeordneter der Grünen und sportpolitischer Sprecher seiner Partei, zu Wort „Pervers“ habe man früher so etwas genannt, sagte er und empfahl allen Skifahrern, sich doch gefälligst eine neue Sportart zu suchen. Er argumentierte mit dem Klimawandel. In der Tat erfordert die Produktion von Kunstschnee einen immensen Energieaufwand. Doch Hermann erntete nicht viel mehr als Kopfschütteln von den Sportfunktionären. Die haben sich längst damit abgefunden, dass Schneesicherheit nur mit der Hilfe von Schneekanonen herzustellen ist, und ärgern sich schon lange nicht mehr über ausbleibende Naturschneefälle. Sie werden nur nervös, wenn es auch nachts nicht mehr kalt genug wird. Minus vier Grad kalt muss es für die meisten Schneekanonen sein, sonst kristallisiert der kalte Wassernebel nicht, den sie in die Luft schießen.

Längst gibt es Wintersport nicht nur in den Bergen. Die Snowboarder könnten die Ersten sein, die ganz auf den Schnee in freier Natur verzichten. Die starteten am 7. Oktober im niederländischen Landgraaf mit einem Hallenwettkampf in ihre Weltcupsaison. Kurz vorher kam die deutsche Nationalmannschaft der alpinen Skifahrer zurück aus einem Trainingslager. Sie waren nach Dubai eingeladen worden, wo sie in einer riesigen Halle Schneetraining machen konnten. Dann allerdings mussten die Skifahrer in die Natur. Der Weltcupauftakt der Alpinen sollte wie schon seit Jahren in Sölden stattfinden, hoch oben auf dem Gletscher – wegen der Schneesicherheit. In diesem Jahr wurde er abgesagt: wegen Schneemangel auf dem Hochplateau. Am Wochenende verabschiedete sich der alpine Skizirkus aus der Wetlcupsaison. Schauplatz: ein mager beschneiter Schweizer Wintersportort. Lange war offen, ob das Saisonfinale in Lenzerheide überhaupt würde ausgetragen werden können. Auch dazwischen war viel Ausfall, viel Terminchaos. Dass mit dem Norweger Aksel Lund Svindal, der den Gesamtweltcup gewonnen hat, ein neues Gesicht in der Elite des Skisports aufgetaucht ist, wurde kaum wahrgenommen in diesem schneearmen Winter.

Nur den Biathleten flogen einmal mehr die Herzen vieler deutscher Sportfreunde zu. Das lag vor allem an Magdalena Neuner, der 20-jährigen Überraschungsweltmeisterin von Antholz. Als sie während der Titelkämpfe in den Dolomiten zum Fotoshooting mit dem WM-Maskottchen Bumsi posierte, wurde sie von nicht wenigen Journalisten zu einer neuen Franzi van Almsick erklärt. Wenn sich Spitzensport mit Sexappeal paart, ist es egal, wie viel Schnee neben der Loipe liegt. Dass Andrea Henkel am Sonntag den Gesamtweltcup gewonnen hat, vermochte dann schon wieder weniger Menschen aus dem Sessel zu reißen.

Tobias Angerer wird also schon bald mit den Skirollern über Asphalt fahren. So lange, bis wieder weiße Schneebahnen durch Städte und Landschaften verlegt werden. Winfried Hermann dürfte nicht der Einzige sein, der das pervers findet.