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cannes cannesDie eigenwillige Königin von Cannes

Asia Argento spielt in drei Filmen des Festivals mit: Immer gibt sie unerschrockene Frauen, die jenseits der Konventionen agieren

Asia Argento ist allgegenwärtig. Die Schauspielerin und Regisseurin – 2004 hat sie in der Quinzaine des Réalisateurs ihren Spielfilm „The Heart Is Deceitful Above All Things“ präsentiert – hat tragende Rollen in drei Filmen des offiziellen Programms und begleitet nebenher ihren Vater Dario in die Salle Buñuel, als dort dessen 30 Jahre alter Horrorfilm „Suspiria“ in einer digital restaurierten Fassung präsentiert und von den anwesenden Aficionados hysterisch gefeiert wird.

In den drei Filmen gibt Argento unerschrockene, jenseits von gesellschaftlicher Konvention agierende Frauen, in allen dreien zeigt sie viel Haut, und alle drei sind in ihrer jeweiligen Eigenwilligkeit bemerkenswert: Olivier Assayas’ kühle, zugleich melancholische und zu Unrecht unterschätzte Drogen- und Mordballade „Boarding Gate“, Abel Ferraras aberwitzige Komödie „Go Go Tales“ (beide fanden Platz im Mitternachtsprogramm) und schließlich Catherine Breillats Wettbewerbsbeitrag „Une vielle maitresse“ („Eine alte Geliebte“).

Wer diese Filme im Verlauf weniger Tage sieht, denkt unweigerlich darüber nach, ob die vielen Tätowierungen, die Argento in „Boarding Gate“ zur Schau stellt (neben anderen die Ziffer 23 im Nacken und einen Engel mit ausgebreiteten Schwingen unterhalb des Bauchnabels), echt sind oder für den Film appliziert wurden. Der Engel, sehe ich später in „Go Go Tales“, ist echt, die Nummer nicht. In Breillats Film fehlt der Engel auf dem Bauch, er wird überschminkt sein. Doch einmal sieht man über Argentos Steißbein eine Tätowierung aufscheinen, etwas fahl, als wäre sie nur nachlässig mit Make-up überdeckt – oder als läge Breillat daran, einen kleinen Anachronismus in den Film einzubauen.

„Une vielle maitresse“ setzt im Jahr 1835 ein; der Film spielt meistens in den Salons, den Parks und den Schlafzimmern der Pariser Gesellschaft. Die Hochzeit von Ryno de Marigny (Fu’ad Aït Aattou) und Hermangarde (Roxane Mesquida) steht bevor, obwohl Marigny seit zehn Jahren eine Geliebte hat, die von Argento gespielte Vellini, eine Frau aus Malaga, „illegitime Tochter einer italienischen Gräfin und eines spanischen Matadors“, wie es an einer Stelle heißt. In einer der ersten Szenen will Marigny endgültig Abschied von Vellini nehmen; eben noch haben sie auf einem Tigerfell miteinander geschlafen, den Bildausschnitt dominierten dabei ihre Köpfe und der des Tigers. Jetzt zieht er sich an, sie sagt wütend: „Ich verachte dich“; er kontert, er liebe seine zukünftige Frau mehr, als er irgendjemanden sonst auf der Welt geliebt habe; Hermangarde entfache in seinem müden Herzen ein Feuer, wie es vor zehn Jahren für Vellini gelodert habe. „Eine alte Geliebte stellt sich einer frischen Liebe nicht in den Weg.“ Bevor die Tür hinter ihm ins Schloss fällt, ist er sich seiner Sache verdächtig sicher: „Hasta siempre“ – „Auf Nimmerwiedersehen“.

Marigny irrt, doch Vellini irrt nicht minder. Breillat setzt die Irrtümer und Irrwege, die Schmerzen, das Begehren und die Lust einfallsreich, souverän und interessant verschachtelt in Szene. „Une vielle maitresse“ gerät dabei um vieles subtiler als frühere Arbeiten Breillats. Die Regisseurin scheint sich aus dem differenzfeministischen Kosmos zu lösen, der zum Beispiel „Romance“ (1999) allzu aufdringlich beherrschte. Sie hat aufgehört, ewige Gewissheiten über die gegensätzliche Natur von Mann und Frau verkünden zu wollen, und konzentriert sich lieber auf die Geschichte der Figuren, aus der sie, en passant, einen Diskurs über die Möglichkeit und Unmöglichkeit von Liebe ableitet. Argentos Unerschrockenheit, ihre Tatkraft und ihr Selbstbewusstsein sind Breillat dabei sicher keine schlechten Assistenten gewesen. CRISTINA NORD

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