Kreisendes Revolutionsexperiment

Raymond Pettibon, Schorsch Kamerun und die japanische Noise-Legende Keiji Haino treffen sich in den Sophiensaelen, um kritische Popkultur aus den 60ern bis heute zu sampeln. Wenige Tage vor der Uraufführung berichten sie von ihrem Projekt

Wie kann ich mich hinstellen und „Ich träume von einer Massenbewegung“ singen, ohne dass es ironisch wirkt?

VON CHRISTIANE KÜHL

1965 veröffentlichte Bob Dylan, den „Subterranean Homesick Blues“ mit der so schönen Zeile: „You don’t need a weatherman to know which way the wind blows.“ Inspiriert von ebendieser Songline nannte sich vier Jahre später eine kleine maoistische Studentengruppe auf dem Weg zur Radikalisierung „Weatherman“. Ihr Ziel war eine kommunistische Revolution in Amerika, und anders als die Dylan-Zeile es nahelegt, glaubten sie sehr wohl, dass die Welt sie brauchte, um zu sehen, was Sache ist.

Als erste Sehhilfe organisierten sie 1969 „Days of Rage“ in Chicago: Während ihre Kommilitonen den Krieg gegen Vietnam mit der Bitte „Make Love Not War“ zu beenden suchten, hieß ihr Slogan „Bring The War Home“. Und mit zahlreichen Bombenattentaten setzten sie ihn bis Ende der 70er-Jahre auch in die Tat um.

Da sich nicht nur die Geschichte wiederholt, sondern auch die Popkultur sich gerne in Kreisen bewegt, ist es wenig verwunderlich, dass die „Weatherman“ Ende der 80er-Jahre wieder von ihr einverleibt wurden. Der Zeichner Raymond Pettibon, bekannt geworden durch seine Plattencover für das Westcoast Punk-Label SST, aber mittlerweile auch im New Yorker Museum of Modern Art und 2002 bei der Documenta vertreten, drehte mit seinen Freunden von Sonic Youth ein Homevideo mit dem Titel „The Whole World Is Watching: Weatherman ’69“.

Knapp zwanzig Jahre später gibt es nun eine neue Drehung: Der Frankfurter Musiker Oliver Augst bringt „The Whole World Is Watching“ mit Raymond Pettibon, Schorsch Kamerun und der japanischen Noise-Legende Keiji Haino als Musical auf die Bühne.

Als Basis dient das Videoscript, eine Mischung aus Slogans, ironischen Dialogen („Müssen wir eigentlich auch Levi’s verstaatlichen? Ich meine, diese Jeans passen so gut.“) und Songs aus dem „Weatherman“-Songbook. Dieses Liederbuch kursierte tatsächlich in den 70ern und enthält eine Sammlung populärer Lieder mit neuen, revolutionären Texten (Beatles, Dylan oder auch Bing Crosby: „I’m dreaming of a white riot“).

Es war der fragmentarische Aufbau des Drehbuchs, der Augst sofort dafür einnahm. Die Geschichte der „Weatherman“-Organisation ist für den 45-Jährigen nur ein Modell, anhand dessen er wiederkehrende Strukturen linker Bewegungen beschreiben kann. „17-,18-, 20-Jährige sagen: ‚Wir können so nicht weitermachen. Wir müssen die Welt verändern.‘ Das ist doch grandios – auch wenn es in der Konsequenz in Deutschland zur RAF führte. Revolution und Scheitern, das geht ja Hand in Hand. Das ist das Kernthema. Und vielleicht ist Trauer sogar der wichtigere Begriff für unsere Arbeit: Trauer über gescheiterte Chancen.“

Seine Arbeit als Regisseur für diese Musikperformance – den Begriff „Musical“ hat Augst wohl eher zur Verwirrung gewählt – versteht er als Plattformgeber für die beteiligten Musiker. Gemeinsam geprobt haben sie nur wenige Tage; stattdessen bringt jeder sein Können und das eigene Päckchen linker Geschichte mit. Für Schorsch Kamerun etwa – trotz diverser Arbeiten an Staatstheatern im Herzen noch immer eine Goldene Zitrone – sei es schwierig gewesen, eine Haltung zum Text zu finden, „gerade weil ein Begriff wie Revolution für ihn noch relevant ist. Wir haben wahnsinnig viel geredet. Seine Frage war: Wie kann ich mich hinstellen und ‚Ich träume von einer Massenbewegung‘ singen, ohne dass es ironisch wirkt? Anders, als du es von einem Punksänger erwarten würdest, war seine Antwort dann Reduktion.“

Keiji Haino dagegen, seit den 70ern in der Tokioer und internationalen Szene mit immer neuen musikalischen Ansätzen präsent, verweigere sich bewusst jeder Diskussion. „Keiji sagt klar: I have absolutely nothing to say. I just play my stuff.“ Diese Musik aber, so Augst, sei absolut grandios. Und perfekt für ein Projekt wie „The Whole World Is Watching“, das am Ende weniger ein dramaturgisches Gebilde als ein physischer Vorgang sein müsse.

Ob man heute überhaupt noch über Revolution und Terror mit den Worten von 1989 sprechen kann? Raymond Pettibon stellt sich diese Frage nicht, genauso wenig wie er 89 nach einer Brücke zu 69 suchte. „Vietnam hat nie aufgehört. Alles, was Papa Bush und Baby Bush je getan haben, ist der Versuch, die Schande wiedergutzumachen, von einem vorindustriellen Bauernstaat in den Arsch gekickt worden zu sein. Deswegen haben wir jetzt ein neues Vietnam. Gucken Sie auf die Antikriegsdemos heute: Die Sprache, die Bilder, alles ist den 60ern entliehen. Da wird ein Remake von ‚Hair‘ gedreht … oder von ‚Weatherman ’69‘.“

Geht man davon aus, dass dieses Kopieren und Schichten nie endet, dann lässt sich die heutige Uraufführung von „The Whole World Is Watching“ also durchaus als Blaupause der Demos von 2029 lesen.

„The Whole World Is Watching“. Uraufführung 21. 3., weitere Aufführungen 22. bis 25. 3., 20 Uhr, Sophiensaele