Umsonst-Kita statt Herdprämie?

Die NRW-Wohlfahrtsverbände fordern den kostenlosen Kindergarten für Kinder aus armen Familien. Gleichzeitig kritisieren sie den CDU-Vorschlag, Eltern eine so genannte Herdprämie zu zahlen, wenn sie ihre unter dreijährigen Kinder zu Haus erziehen wollen. Haben sie damit Recht?

JÜRGEN KLUTE, geb. 1953, ist seit 2007 Pfarrer im Kirchenkreis Bochum. Dort ist er als Referent an der Evangelischen Stadtakademie tätig. Vorher war Klute Sozialpfarrer in Herne. Bekannt wurde er als Mitglied der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG), deren Spitzenkandidat er bei der NRW-Landtagswahl 2005 war. Klute ist auch Mitglied der Linkspartei.

JA

Die CSU schlägt vor, das Wort „Herdprämie“ zum Unwort 2007 zu erklären. Der Begriff sei „nicht nur sachlich unangemessen“, so der CSU-Politiker Johannes Singhammer, sondern auch geeignet, „ein auf einer freien Willensentscheidung gründendes Lebensmodell grob zu diskriminieren“. Richtiger wäre es, den mit diesem Wort bezeichneten Sachverhalt zum Unding des Jahres 2007 zu erklären.

Mit dieser Prämie würde Geld nach dem Gießkannenprinzip verteilt, statt es zielgerichtet zur Förderung von Kindern einzusetzen. Sie ist nicht dazu geeignet, die bestehende soziale Selektion im BRD-Bildungssystem aufzubrechen und auf eine Chancengleichheit hinzuwirken, die nicht nur auf gleiche Startbedingungen, sondern auch auf vergleichbare Ergebnisse ausgerichtet ist.

Diejenigen, die die „Herdprämie“ propagieren, ignorieren die Realitäten. Zum einen sind nicht alle Eltern gleichermaßen begabt, ihre Kinder ausreichend zu fördern. Eine gesellschaftlich verantwortete beitragsfreie allgemeine frühkindliche Erziehung und Förderung in Ergänzung zum Elternhaus ist deshalb sinnvoll und auch nötig, weil sie zur Chancengleichheit beiträgt.

Die meisten Kinder wachsen auf als Einzelkinder. Krippen und Kindergärten sind deshalb keine Notlösung zur Unterbringung, sie sind ein wichtiges Element in der Sozialisation von Kindern. Krippen und Kindergärten ermöglichen ihnen Kontakt zu Gleichaltrigen aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, der für soziales Lernen unabdingbar ist und damit für eine Gesellschaft, die nicht nur von Individualismus, sondern auch von sozialen Werten geprägt ist. Sinnvoll wäre, das für die „Herdprämie“ vorgesehene Geld zu nutzen, um Schulungs- und Beratungsangebote auszubauen für junge Eltern und Alleinerziehende.

Schließlich verlockt eine „Herdprämie“ dazu, dieses Geld nicht zur Förderung von Kindern auszugeben, sondern für den allgemeinen Konsum. Die Kontrolle einer sachgerechten Verwendung der Prämie wäre ja bestenfalls in einem totalitären Staat möglich. Auch bedürfen wohlhabende Familien keiner „Herdprämie“, um ihre Kinder zu fördern. Doch ihr Einkommen bietet keine Gewähr dafür, dass sie ihre Kinder sinnvoll fördern beziehungsweise fordern. Hingegen fördert die Prämie ein fragwürdiges Elitebewusstseins, wonach die eigenen Kinder besser ferngehalten werden von anderen gesellschaftlichen Gruppen, denen sie in Krippe und Kindergarten begegnen würden. Sie trägt also zur weiteren Segregation der Gesellschaft bei, bewirkt also das Gegenteil dessen, was sie angeblich erreichen soll und was dringend geboten wäre: das Aufbrechen sozialer Selektion im Bildungsbereich.

JÜRGEN KLUTE

NEIN

In Berlin wurde im Koalitionsgespräch über den Ausbau der Krippenplätze eine Einigung erzielt. Doch kaum hat der Kompromiss das Licht der Öffentlichkeit erblickt, wird er von unterschiedlichsten Seiten schon wieder in Frage gestellt. Bleiben wir bei den Fakten: Als erstes werden Platzangebote für 35 Prozent der Kinder eines Jahrgangs geschaffen. Bis 2013 wird bedarfsgerecht ausgebaut und dann wird es auch einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren geben. Erst dann soll ab 2013 Geld an Eltern gezahlt werden, die ihre Kinder nicht selbst betreuen.

Dieses Geld als „Herdprämie“ zu bezeichnen, ist absurd und vor allem diffamierend. Es beweist eher die geistige Armut derjenigen, die mit viel Ideologie nur ihre eigene Vorstellung von Familienleben verfolgen. Das Leben ist bunt und vielfältig. Genauso bunt und vielfältig sind die gelebten Familienentwürfe in unserem Land. Es gibt viele Familien, in denen beide Partner arbeiten wollen oder müssen. Dafür brauchen wir die Betreuungsplätze, deren Ausbau wir nunmehr forcieren.

Es gibt aber auch Familien, die sich gerne und freiwillig dafür entscheiden, dass einer der Partner auf die Erwerbstätigkeit verzichtet. Und letztendlich gibt es die Familien, die aus Gründen von Arbeitslosigkeit oder Ausbildung über kein zweites Einkommen verfügen. Gerade in den mittleren Einkommensbereichen führt das zu enormen finanziellen Belastungssituationen. Als gesellschaftliche Folge können wir beobachten, dass es immer weniger Familien mit mehr als zwei Kindern gibt.

MARIE-THERES KASTNER, 57, ist Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion im Ausschuss für Generationen, Familien und Integration des Landtags, ihr Wahlkreis liegt in Münster. Sie ist Bundesvorsitzende der Katholischen Elternschaft Deutschlands (KED) und hat Germanistik, Geschichte und Sozialwissenschaften in Münster und Würzburg studiert. Als Beruf gibt sie heute auf ihrer Landtagshompage an: „Familienfrau“.

Die Politik redet von Wahlfreiheit für Familien. Um diese Wahlfreiheit überhaupt Wirklichkeit werden zu lassen, ist ein ganzer Strauß von Maßnahmen erforderlich. Da geht es zunächst um Betreuungsplätze. Dann geht es um familienfreundliche Arbeitsplätze und schließlich auch um finanzielle Rahmenbedingungen für eine Entscheidung für oder gegen eine Erwerbstätigkeit.

Hören wir die Wissenschaftler, die sich mit der frühkindlichen Pädagogik befassen, dann wissen wir, dass es gerade in den ersten Lebensjahren des Kindes wichtig ist, Bindungsfähigkeit und soziale Kompetenz für das noch junge Leben zu entwickeln. Hierbei spielen naturgemäß Eltern die wichtigste Rolle. Wenn Eltern sich also in dieser Phase für mehr Zeit für ihre Kinder entscheiden, ist das gut und nicht zu kritisieren. Und wenn der Staat dann darüber nachdenkt, die Entscheidung finanziell zu begleiten, damit nicht aus finanziellen Gründen eine andere Entscheidung getroffen werden muss, dann hat das mit „Herdprämie“ und antiquierten Familienbildern wenig zu tun.

MARIE-THERES KASTNER