Mit Weitblick auf große Fahrt gehen

ERDGAS Wer die Alternative zum Benziner fährt, kommt sehr preiswert voran. Beim Fahren muss man sich nicht umstellen. Reisen sollten aber gut organisiert werden. Pflicht ist die Tankstellen-App auf dem Smartphone, die den Weg zur nächsten Füllstation weist

VON MIRKO HEINEMANN

Ein gewisses Maß an Organisation gehört dazu. Martin Glos fährt mit seinem VW Touran mit Erdgasantrieb, Baujahr 2006, regelmäßig von Berlin an die Ostsee. Die Tankstopps am Weg sind genau geplant. Mit vollem Tank geht es in Berlin los. Ziel ist die Erdgasstation in Stralsund. Dort muss wieder vollgetankt werden. Nach 250 Kilometern sollte der nächste Tankstopp eingeplant werden. „350 Kilometer kann man schaffen, wenn man extrem sparsam fährt“, so Glos.

Im Heck seines Wagens sind drei Gasflaschen montiert, die zusammen 18 Kilogramm Erdgas fassen. Einen Benzintank hat er auch noch, da hinein passen aber nur 11 Liter; er dient als eiserne Reserve. Damit ist sein Touran ein sogenanntes monovalentes Fahrzeug, Erdgas ist seine Hauptenergiequelle. Beim Fahren lasse sich ein Unterschied zum klassischen Benziner nicht feststellen, berichtet Glos. Wenn es draußen kalt wird, startet der Motor mit Benzin und stellt sich erst nach einigen Minuten automatisch auf Erdgas um. „Dann gibt es einen kleinen Ruck.“

Tanken fast wie gewohnt

Nicht zu verwechseln ist Erdgas mit Autogas oder LPG, dem Flüssiggas, das bereits länger als Antriebsalternative zur Verfügung steht. Das Gemisch aus Propan und Butan entsteht beim Raffinieren von Rohöl. Erdgas hingegen wird unter Druck in Flaschen abgefüllt. Das Tanken ist unproblematisch: Der Zapfhahn wird in den Tankstutzen eingeklinkt und verschließt sich von selbst. Beim Abziehen pfeift es ähnlich wie beim Abziehen eines Luftdruckprüfers vom Reifen.

Die große Freude am Erdgasfahren kommt an der Kasse auf. Eine Vergleichsrechnung: Unser Golf-Benziner, Baujahr 2001, 105 PS, kommt bei sparsamer Fahrweise auf reine Spritkosten von 11 bis 12 Euro pro 100 Kilometer. Martin Glos zahlt für 100 Kilometer mit seinem kräftigeren Touran nur wenig mehr als Hälfte, nämlich 6,90 Euro. Mit der fünfköpfigen Familie an die Ostsee für unter 20 Euro – unschlagbar. Das liegt natürlich nicht am niedrigen Grundpreis: Erdgas wird bei der Mineralölbesteuerung begünstigt. Die Regelung gilt in Deutschland noch bis Ende 2018 – und wohl auch darüber hinaus. Hintergrund: Die Europäische Kommission möchte den Anteil von Erdgasfahrzeugen bis 2020 auf zehn Prozent steigern. Ein hehres Ziel: Derzeit sind in Deutschland 100.000 Erdgasfahrzeuge zugelassen, bei 61 Millionen Kfz insgesamt.

Ökologisch bietet Erdgas Vor- und Nachteile: 25 Prozent weniger CO2 sollen Erdgasfahrzeuge ausstoßen. Skeptiker verweisen auf die Abhängigkeit bei Erdgas von Russland, aus der man sich nur mithilfe der umstrittenen Fracking-Technologie befreien könne. Vermehrt wird das aus Abfällen und Energiepflanzen gewonnene Bioerdgas zur Alternative. Hier verweisen Kritiker auf die Konkurrenz von Biogas zur Nahrungsmittelproduktion.

Erdgastankstellen liegen selten direkt an der Autobahn, da sie auf einen Anschluss an das vorhandene Gasnetz angewiesen sind. In Großstädten ist das kein Problem: So gibt es in Berlin knapp zwei Dutzend Tankstellen mit Erdgas. Anders sieht das in Flächenländern wie Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern aus. Auf den rund hundert Kilometern von Stralsund nach Teterow etwa findet sich keine einzige Erdgastankstelle. Ist die auch noch defekt, kann man ins Schwitzen geraten, weiß Martin Glos: „Ich habe auch schon vor einer Reise bei einer Tankstelle angerufen, um sicherzugehen, dass die Erdgassäule funktioniert.“ Pflicht ist auch die Tankstellen-App auf dem Smartphone, die den Weg zur nächsten Füllstation weist.

Wer Urlaubsreisen in Europa plant, kann eine aktuelle Tankstellenkarte unter www.ngvaeurope.eu einsehen. Er wird in Deutschland und Italien jeweils über 900, in Frankreich hingegen nur 30 Erdgasstationen finden. Südosteuropa-Touren sind gar fast unmöglich: Rumänien ist völlig blank, in ganz Serbien gibt es eine einzige Erdgastanke, nahe Belgrad.

Der Ruch des Abenteuerlichen schwindet indes. Neuere Fahrzeuge verfügen über größere Gastanks. Der neue Touran TSI EcoFuel mit 24-Liter-Tank soll allein mit Erdgas über 500 Kilometer Reichweite haben, dazu kommt der obligatorische 11-Liter-Benzintank. Der Spritpreis soll unter fünf Euro pro 100 Kilometer liegen. Dafür kostet er in der Anschaffung rund 3.500 Euro mehr als der Benziner.

Ob er es wieder tun würde? Martin Glos wiegt den Kopf abschätzend hin und her. Ein wichtiger Faktor ist die Erdgastankstelle gleich um die Ecke. „Wäre diese Tankstelle nicht, dann würde ich eher auf Diesel setzen.“ Für seine Frau hingegen liegt der Fall klar auf der Hand: „Wieder Erdgas? Ja, sicher!“, ruft sie durch die Wohnung.