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„Die Zahlen sagen absolut nichts aus“

Die Kriminologin Monika Frommel hält Erfolgsmeldungen zur Verbrechensbekämpfung für unglaubwürdig

MONIKA FROMMEL, 60, ist Direktorin des kriminologischen Instituts der Universität zu Kiel. Die Juristin leitet die Zeitschrift Kritische Justiz

taz: Frau Frommel, laut Bundeskriminalamt können sich BürgerInnen in NRW besonders sicher fühlen. Wie verlässlich sind die Zahlen?

Monika Frommel: Die Zahlen sagen absolut nichts über die wirkliche Gefahr aus. Sie zeigen nur etwas darüber, wie Straftaten in den einzelnen Städten und Ländern registriert werden. Ist zum Beispiel eine Diebstahlserie von zehn Fahrrädern eine Straftat oder zehn? Die Polizei hat einen großen Ermessensspielraum.

Gleicht sich dieser Spielraum auf Landesebene nicht wieder aus?

Nein. Häufig sind es Landesvorgaben, die über die Statistik bestimmen, weil die Innenpolitik ja Ländersache ist. So hat Bremen zum Beispiel immer einen schlechten Platz in der Bilanz – dort werden Straftaten aber auch einzeln registriert, in NRW ist das unter der CDU-Regierung nicht der Fall.

Innenminister Ingo Wolf schreibt sich die guten Zahlen auf die eigene Fahne – seine Polizeireform habe die Kriminalität sinken lassen.

Das ist absurd. Alle Innenpolitiker machen aus diesen Zahlenkolonnen gerne Werbeveranstaltungen für sich selbst. Man sollte ihnen aber so wenig Glauben schenken wie einem Werbespot von großen Unternehmen.

Die Präsenz der Polizei soll sich gesteigert haben. Uniformierte auf der Straße könnten doch Verbrechen verhindern.

Zu dieser These belegen viele empirische Untersuchungen: Es gibt keinen Zusammenhang zwischen der sichtbaren Polizei und der Wahrscheinlichkeit von Verbrechen. Die Präsenz beruhigt höchstens alte Menschen, die aber keine Täter und selten Opfer sind. Sie sind Wähler – auf das Wahlverhalten mag die Präsenz einen Effekt haben.

Was sind denn Faktoren, die Kriminalitätsraten beeinflussen können?

Es gibt kein Pauschalrezept. Ursachen für Verbrechen hängen häufig mit Perspektivlosigkeit zusammen, mit Arbeitslosigkeit, Verwahrlosung. Prinzipielle Lebenschancen, die keine Regierung mal eben verändern könnte, das dauert Jahre.

Gibt es denn nichts, was schnell wirkt?

Doch. Vergessen wird immer die hohe Bedeutung von Opferarbeit. Wenn Frauen von ihren Männern häufig geschlagen oder sexuell genötigt werden müssen sie als Opfer stark gemacht werden, sich Hilfe suchen. Damit können Serienverbrechen verhindert werden. Und die Strafen schrecken dann auch Täter ab, wir sehen das beim Gewaltschutzgesetz. Bei der Jugendkriminalität, die in Wirklichkeit eine Jungenkriminalität ist, hilft Abschreckung hingegen kaum: Die jungen Männer können nur mit einer guten Jugendhilfe erreicht werden. Einzelne Polizeireformen haben keine Bedeutung.

INTERVIEW: ANNIKA JOERES

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