Joblose auf Verschickung

In Wuppertal werden türkischstämmige Arbeitslose nach Ankara geschickt: Sie besuchen dort die Hotelfachschule. Für einige Teilnehmer ist die Qualifizierungsmaßnahme eine Zumutung

Besonders die ersten vier Monate in Ankara seien sehr hart gewesen. „Ich habe Wände angestarrt“ Das Projekt aus Wuppertal scheint Schule zu machen: Andere Städte wollen es übernehmen

von LUTZ DEBUS

Die ARGE-Geschäftsstelle in Wuppertal-Vohwinkel sieht gar nicht so arg aus. Ein farbenfrohes „Herzlich Willkommen“-Schild begrüßt den Besucher der Arbeits- und Sozialbehörde. Im Büro von Michaela Bade hängt ein Poster von einer paradiesischen Landschaft. Palmen, Meer, eine Insel in der Ferne. Dass hier die Hartz-IV-Empfänger verwaltet werden, scheint schwer vorstellbar. Eher glaubt man, sich in einem Reisebüro zu befinden und mit einer freundlichen Reisebürokauffrau den kommenden Urlaub zu planen. Und tatsächlich, Michaela Bade hat vor einem halben Jahr eine kleine Gruppe der von ihr betreuten Arbeitslosen auf eine lange Reise geschickt. Fünf Männer im Alter von 18 bis 41 Jahren absolvierten eine Qualifizierungsmaßnahme zur Touristik- und Hotelfachkraft in der Türkei. Alle Teilnehmer waren türkischer Herkunft, beherrschten sowohl die türkische wie die deutsche Sprache und waren seit längerer Zeit arbeitslos.

In der vergangenen Woche sind die fünf „Gastarbeiter“ wieder nach Hause, nach Wuppertal, gekommen. Nicht alles bei diesem Pilotprojekt verlief so wie geplant. Schon der tränenreiche Abschied im Oktober auf dem Flughafen deutete an, dass dieses Experiment schwerer durchzuführen war als gedacht, berichtet Michaela Bade. Mit den zurückbleibenden Familien und Freunde litten auch die Teilnehmer der Maßnahme unter der Trennung. Ständiger Email- und Telefonkontakt konnte verhindern, dass einer der Teilnehmer vorzeitig abbrach. Vieles in der Fremde war anders als erhofft. Das begann schon bei der Verpflegung. „Oft gab es zu wenig. Oder am Abend Aufgewärmtes vom Mittag“, ärgert sich Rahsan Önsel. Der 21-Jährige ist zwar froh über die Maßnahme. Aber glücklicher noch sei er, endlich wieder zu Hause zu sein. „Die Wände meines Schlafzimmers in der Türkei waren voller Schimmel.“ Besonders die ersten vier Monate, in denen er die „Bastem-Bildungsanstalten“ in Ankara besuchen musste, seien sehr hart gewesen. „Ich habe manchmal nur die Wände angestarrt.“

Tatsächlich, so räumt auch Michaela Bade ein, seien die Verhältnisse in der Türkei anders als in Wuppertal. Die Teilnehmer der Maßname, die das Land nur als Touristen oder als Besucher der eigenen Verwandtschaft kannten, waren oft überrascht. „Wenn man dort einen Notarzt ruft, muss der nicht sofort kommen“, berichtet die Sachbearbeiterin. Die jungen Männer machten in Ankara die Erfahrung, von den Türken als Ausländer angesehen und auch so behandelt zu werden. „Es gibt da mehr Mobbing als hier“, weiß Michaela Bade inzwischen. Auch das der Schulzeit anschließende Praktikum habe manche Überraschung parat gehabt. „In der Türkei gibt es andere Arbeitszeitregelungen.“ Im Klartext bedeutete dies, einen 14-Stunden-Tag bewältigen zu müssen.

Die Tätigkeiten seien sehr unterschiedlich gewesen – vom Kloputzen bis zur Buchhaltung. Einer der Teilnehmer hätte sich wegen seiner besonderen Fähigkeiten und seines Engagements bis ins Büro des Hotelmanagers eines Fünf-Sterne-Hauses vorgearbeitet. Er kann sich als einziger vorstellen, wieder in der Türkei zu arbeiten. Die anderen möchten lieber mit der nicht so alltäglichen Qualifizierungsmaßnahme ihr Glück auf dem deutschen Arbeitsmarkt versuchen.

In der Türkei bekämen die frischen Absolventen etwa 250 Euro im Monat. Da stelle man sich sogar mit dem knapp bemessenen Arbeitslosengeld II besser, erklärt Bade. Einer der Teilnehmer erklärt: „Ich habe hier warmes Wasser und eine Heizung. Ich will hier bleiben.“ Manche, so weiß Michaela Bade, hätten nicht gewusst, dass es in Ankara im Winter so kalt sein kann, viel kälter als hier.

Natürlich war es auch nicht Sinn des Projektes, die jungen Männer an die Türkei loszuwerden. „Wir wollen hier keine Abschiebung fördern“, erklärt Michaela Bade. Die Vermittlung der Heimkehrer in den allgemeinen Arbeitsmarkt kann sich die ARGE-Mitarbeiterin durchaus vorstellen. „Wir benötigen in Wuppertal zwar keine Animateure für den Strandurlaub. Aber ein Rezeptionist, der freundlich und professionell in deutscher und türkischer Sprache auftreten kann, wird hier bestimmt gebraucht.“

Und das Projekt aus Wuppertal scheint Schule zu machen. Nach einer Sendung im WDR-Fernsehen fragten sogar schon Beschäftigungsgesellschaften aus Dortmund und aus dem Rhein-Sieg-Kreis an, ob sie sich vor Ort Informationen holen könnten. Andere Arbeitsvermittler überlegen, eine türkisch-deutsche Zusammenarbeit bei der Ausbildung zur Altenpflegehelferin anzustreben. Immer mehr türkischstämmige Migranten werden in Deutschland pflegebedürftig. Und das immer mitteleuropäischer werdende Leben in den türkischen Metropolen lässt dort den Bedarf nach Altenpflegeeinrichtungen wachsen.

Michaela Bade indes ist mit dem Verlauf der Maßnahme insgesamt zufrieden. Gern hätte die Arbeitsvermittlerin das Pilotprojekt mit mehr Teilnehmern durchgeführt, vor allem auch mit Teilnehmerinnen. Bei einem ersten Informationsgespräch in Vohwinkel waren mehr als 20 Interessierte gekommen, die Mehrzahl davon Frauen. Als deren besorgte Eltern aber hörten, dass ihre Töchter in türkischen Schulen und Hotels kein Kopftuch tragen dürfen, meldeten sich die jungen Frauen erst gar nicht an. So bleibt das Projekt zunächst eine reine Männerdomäne. Galant verabschiedet sich Rahsan Önsel. „Wenn Sie eine Stelle für mich in einem Hotel haben, lassen Sie es mich wissen.“