Hilfe für Männer, die keine Täter sein wollen

Ärzte der Berliner Charité werten ihr Pilotprojekt für Pädosexuelle als Erfolg – und hoffen nun auf neue Geldgeber

BERLIN taz ■ Die Männer sollen erreicht werden, bevor sie Täter werden. Sie sollen lernen, sich ihre sexuellen Wünsche zu versagen. Gestern präsentierte das Berliner Krankenhaus Charité die Ergebnisse eines bis dato einmaligen Pilotprojekts: eine präventive Therapie für Pädophile.

Das Projekt, das seit zwei Jahren läuft, richtet sich an Männer, die sich freiwillig melden. Männer, die Minderjährige begehren, aber dies nie ausgelebt haben oder die noch nicht dabei erwischt wurden. Es steht aber auch verurteilten Tätern offen, die nicht rückfällig werden möchten. Das Projekt zeigt, dass sich hinter dem gängigen Begriff „Pädophile“ sehr unterschiedliche Menschen verbergen: skrupellose Kinderschänder, aber auch Männer, die fast zerbrechen an der Last, ihrem Begehren nie nachgeben zu dürfen.

Laut Klaus Beier, Sexualmediziner der Charité, hat etwa einer von hundert Männern pädosexuelle Neigungen. Sie bestünden von Jugend an und seien nicht heilbar. „Wir machen den Männern klar: Für deine Neigung kannst du nichts – wohl aber für deine Taten“, sagt Beier. Die Männer lernen, sich zu kontrollieren. Die Ärzte setzen vor allem auf eine Verhaltenstherapie, geben zum Teil aber auch triebdämpfende Medikamente.

557 Männer haben sich bei der Charité gemeldet. Bei 136 von ihnen hielten die Ärzte eine Therapie für sinnvoll. 20 Männer haben sie abgeschlossen, bei 17 läuft sie noch bis zum Herbst – und 45 weitere warten auf einen Therapieplatz. Für viele war das Charité-Projekt das erlösende Ziel einer langer Suche: Mehr als jeder zweite hatte vorher vergeblich nach einer guten Therapie gesucht. Etwa jeder zweite hat sich nach eigenen Angaben noch nicht an Kindern vergriffen.

Die Ärzte werten das Projekt als Erfolg – weil sich im Kopf der Männer einiges geändert habe: Die Teilnehmer fühlen sich nun eher in der Lage, ihre sexuellen Impulse zu kontrollieren. Rapide abgenommen hat auch, was die Forscher „kognitive Verzerrung“ nennen – also der Selbstbetrug von Tätern, die sich einreden, sexueller Kontakt zu Kindern sei doch gar nicht so schlimm und ihr eigener Übergriff eine spontane Entgleisung. Leicht gestiegen ist laut Studie die Fähigkeit, sich in das Leiden der Opfer einzufühlen. Die Erfolge der Therapie sind also derzeit vor allem als Tendenzen messbar. Ob die Männer sich dauerhaft beherrschen, muss sich noch erweisen.

Für die Ärzte sind die Ergebnisse vor allem eins: ein hoffnungsvoller Anfang. Ob daraus eine umfassende Strategie werden kann, ist noch ungewiss. Die Finanzierung des Pilotprojekts durch die VW-Stiftung läuft im Herbst aus. Die Ärzte hoffen nun, dass sich ein neuer Träger findet – und dass langfristig die Kassen für die Kosten aufkommen. Überdies fehlt bislang ein flächendeckendes Angebot. Sexualmedizin ist bislang nur ein Randgebiet der Ärzteausbildung. Die wenigen Spezialisten arbeiten vor allem in Berlin oder Kiel. Süddeutsche Pädosexuelle müssten also jede Woche hunderte Kilometer fahren, um sich optimal therapieren zu lassen.

Die Ärzte kritisierten auch, dass eine Teilgruppe potenzieller Täter fast unbeachtet bleibt: die Nutzer von Kinderpornografie. „Alle bisherigen Therapien zielen auf die Verhinderung unmittelbaren Kindesmissbrauchs“, sagt Beier. Dabei seien die Grenzen fließend: Wer sich Kinderpornos anschaut, ist oft pädophil veranlagt. Wird aber ein Nutzer von Kinderpornos verurteilt, muss er meist in den normalen Strafvollzug. Eine Therapie ist nur selten vorgesehen. Das muss sich ändern, meint auch Barbara Schäfer-Wiegand von der Stiftung „Hänsel und Gretel“, die das Programm unterstützt hat: „Das Charité-Projekt ist außerordentlich erfolgreich. Aber der Weg zu einem wirksamen Kinderschutz ist noch weit“.

COSIMA SCHMITT