Zugucken zählt nicht

KANADA Selbstverständliche Mädchensache

VON NICOLA REICHERT

„Eishockey ist für Jungs, Fußball für Mädchen“, sagt Carolyn Bell, die Verteidigerin der Mannschaft der McGill University, die derzeit die Tabelle in der Provinz Quebec anführt. Die Biologiestudentin kommt eigentlich aus dem Westen Kanadas, aus British Columbia. Ihr Erfolg im Fußball hat sie in den Osten Kanadas, nach Montreal geführt. Hier, an der renommierten McGill University, hat sie für ihre Dribbelkünste ein Stipendium bekommen. Durch den Fußball kam sie auch schon mal nach Deutschland: Mit 16 Jahren nahm sie an einem Trainingscamp in Herzogenaurach teil.

Die kanadische Nationalmannschaft erlebte 2010 das erfolgreichste Jahr ihrer Geschichte: drei Siege bei internationalen Turnieren und der Aufstieg in die Top Ten der Welt, auf Platz neun, noch vor den Engländerinnen. Im Januar 2011 wurde das Team unter Leitung der Trainerin Carolina Morace beim Vierländerturnier in China Zweiter.

Die Nationalmannschaft der Männer dagegen ist bislang nicht über Rang 40 hinausgekommen. „Fußball ist in Kanada kein Zuschauersport, sondern ein Mitmachsport. Das interessiert die Männer wohl weniger. Die Mädchen spielen vor allem aus Freude am Spiel“, erklärt Marc Mounicot, 2010 bei der Gala der Quebec Foundation for University Athletics als „Trainer des Jahres für Frauenmannschaften“ ausgezeichnet. „Mir gefällt der Teamgeist“, sagt Carolyn Bell. „Außerdem ist Fußball eine tolle geistige und körperliche Herausforderung.“

Für Mounicot wie für andere Kanadier ist der straff organisierte und disziplinierte deutsche Fußball ein Spiegel der deutschen Mentalität, auch wenn die Goethe-Institute in Montreal, Toronto und Ottawa seit fast fünfzig Jahren ein Bild von Deutschland zu zeichnen versuchen, das diese Stereotype überwindet.

Was den Fußball angeht, so liegen die kanadischen Frauen also vor den Männern; in der Arbeitswelt ist es genau andersherum. Frauen verdienen in der Provinz Quebec durchschnittlich nur 73 Prozent des Gehalts der Männer. Diese fehlende Gleichberechtigung hat aber keinen Einfluss auf das Selbstbewusstsein der Frauen in anderen Lebensbereichen: Nicht selten tun Frauen den ersten Schritt.

Beim Eröffnungsspiel Kanada gegen Deutschland, das am 26. Juni 2011 im Goethe-Institut in Montreal live übertragen wird, wird Carolyn zusammen mit ihren Team-Kolleginnen und Trainer Marc Mounicot die kanadische Mannschaft anfeuern. Mal sehen, wie viele Tore Christine Sinclair, die Torschützenkönigin der Kanadierinnen, im deutschen Tor versenken wird.

Nicola Reichert, 1988 geboren, hat an der Fachhochschule Köln den Bachelor of Arts in Multilingual Communication abgeschlossen. Sie absolvierte beim Goethe-Institut Montreal in der Programmabteilung ein Praktikum