Selbstbewusste Tri

MEXIKO Vom Bolzplatz zum FC Barcelona

VON VOLKMAR LIEBIG

An einer kleinen Anekdote lässt sich gut der aktuelle Zustand des mexikanischen Frauenfußballs festmachen. Im Jahr 2004 ist Maribel „Marigol“ Domínguez vereinslos und sieht sich in ihrem Heimatland Mexiko einem absoluten Vakuum gegenüber. Erst ein Jahr zuvor war sie noch eine der besten Spielerinnen der kurz darauf pleitegegangenen US-amerikanischen Profi-Frauenfußballliga WUSA und hatte mit 46 Toren in 49 Länderspielen einen neuen Rekord aufgestellt. Vor diesem Hintergrund lässt sie sich von der Zweitliga-Herrenmannschaft Celaya unter Vertrag nehmen, deren Entscheidungsträger fest gewillt sind, Marigol auch zusammen mit 21 Männern auflaufen zu lassen. Eine andere Alternative war für die überragende Fußballspielerin, die ihre Künste auf dem Bolzplatz ihres Viertels in Mexiko-Stadt erlernt hatte, schlicht nicht vorhanden. Doch weil Fifa-Chef Blatter intervenierte, durfte die heute 32-Jährige ihr Glück nicht im Herrenfußball probieren – aber der Weg zurück ins Ausland, diesmal zum FC Barcelona, war geöffnet.

Im fußballverrückten Mexiko gibt es eine sogenannte Profiliga für Frauen seit 2007. Allerdings ist die Super Liga Femenil de Fútbol nur auf dem Papier professionell, zum Leben reichen die Gehälter nicht. Die stieftöchterlich behandelte Frauennationalmannschaft steht auf einem schwachen 22. Rang der Fifa-Weltrangliste, wogegen ausgerechnet Erzrivale USA Platz 1 hält. Überraschend kam daher der Sieg der weiblichen Tri, wie die mexikanische Fußballnationalmannschaft aufgrund der dreifarbigen Nationalfahne genannt wird, im entscheidenden WM-Qualifikationsspiel Ende 2010 gegen die USA. Es war der erste Sieg der Frauenmannschaft überhaupt gegen den nördlichen Nachbarn, der die zweite WM-Teilnahme Mexikos sicherte. Langsam tut sich also etwas im Frauenfußball, auch wenn er noch einen langen Weg zu der Anerkennung vor sich hat, die die Männer bekommen.

Ähnliches gilt für die Rolle der mexikanischen Frau. Trotz einer starken Frauenbewegung und selbstbewussten, engagierten sowie beruflich höchst erfolgreichen Mexikanerinnen geht das Rollenbild häufig immer noch mit der konservativen Sichtweise des mexikanischen Literaturnobelpreisträgers Octavio Paz einher, der in seinem Hauptwerk „Das Labyrinth der Einsamkeit“ von der „ergebenen mexikanischen Frau“ spricht, die als „abgehärtetes Opfer“ ihr Leid ertrage und dadurch „unverwundbar, gleichmütig und stoisch“ werde.

Von Einstein über Rammstein bis hin zu der Manga-Frisur des Tokio-Hotel-Sängers Bill Kaulitz herrscht in Mexiko ein sehr klischeebehaftetes Deutschlandbild vor. Bis sie zum ersten Mal einen Muttersprachler treffen, denken viele Mexikaner daher auch, dass Deutsch in brachialer Form „gebellt“ werden müsste.

Nichtsdestotrotz dürfte das breite Deutschlandbild weiß-blau eingefärbt und von Oktoberfest und Bier bestimmt sein. Und natürlich von deutschen Marken, die nach einheimischem Empfinden hohe Qualität haben, da sie von ernsten, fast roboterhaft disziplinierten und pünktlichen Menschen hergestellt werden.

Volkmar Liebig, geboren 1978, studierte Lateinamerikanistik und Geografie. Seit März 2009 arbeitet er für das Goethe-Institut Mexiko als Koordinator der Kulturprogramme in Zentralamerika und der Karibik