Die Angst reist mit

Zehn irakische SchulleiterInnen hat das Georg-Eckert-Institut für Schulbuchforschung nach Braunschweig eingeladen. Ausländische Unterstützung, das war bei ihrem Besuch zu erfahren, stößt im Irak auf Misstrauen. Und: „Wer weiß, ob ich den Job noch habe, wenn ich zurückkomme“, sagt eine Lehrerin

Es geht nicht aus eigener Kraft, aber mit ausländischer Hilfe geht es auch nicht

VON ANNEDORE BEELTE

Der Autofahrer ist schwungvoll falsch abgebogen. „Entschuldigung“, ruft er durchs offene Fenster und wendet hektisch wieder. Rasheed und Tahseen, die rauchend im Hof des Braunschweiger Georg-Eckert-Instituts stehen, lachen. „Im Irak“, sagen sie, „würde er schießen und wegfahren, ohne sich umzudrehen.“ Ein Anflug von Galgenhumor, der so plötzlich verschwindet, wie er gekommen ist.

Sechs Schulleiter und vier Schulleiterinnen aus dem Irak reisen für eine Woche durch Deutschland, lassen die Mini-Digitalkameras klicken und finden immer wieder „beautiful“, was sie zu sehen bekommen. Es ist eine Welt, in der nicht die Köpfe von Ermordeten im Rinnstein liegen. Eine Welt, in der nicht die Angst regiert, auf den Todeslisten der Fanatiker aufzutauchen. Gemeinsam mit der Unesco hat das Braunschweiger Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung sie eingeladen: Lehrkräfte, die seit der Herrschaft Saddam Husseins in Isolation leben. „Irakische Schulbücher sind seit 20 Jahren dieselben“, sagt Achim Rohde, Islamwissenschaftler und Organisator des Besuchs. „Nur das Bild Saddams haben sie herausgerissen.“ Multimedia, Projektarbeit, praxisbezogene Lehrerausbildung – all das ist im Irak unbekannt.

Die BesucherInnen sollen nicht nur erworbenes Wissen zu Hause weitergeben, ihre Erfahrungen sind auch wiederum Forschungsgegenstand für die Braunschweiger. Man wolle nicht die Fehler der US-Amerikaner wiederholen, heißt es. Die bauten einfach irgendwo eine Schule, an der sich amerikanische Bauunternehmen eine goldene Nase verdienen. Was aber die irakische Bevölkerung wolle, danach werde nicht gefragt. Und dann wundere man sich, wenn das Gebäude binnen kurzem ausgeraubt und niedergebrannt sei. „Wir sehen die Iraker als Experten ihrer eigenen Lage“, sagt Rohde. Georg Eckert, der Gründer und Namensgeber des Braunschweiger Instituts, forschte in der jungen Bundesrepublik darüber, wie Schulbücher zum Entstehen und Abbau von Feindbildern beitragen können. Nach dem Ende des Kalten Krieges fand das Institut neue Arbeitsfelder in so genannten Post-Konflikt-Regionen – speziell im Mittleren Osten.

Beim Besuch des Westermann-Verlags erläutert Lektor Dirk Böhme den Gästen die spezifischen Probleme eines deutschen Schulbuchverlages, der 49 verschiedene Biologiebücher für ein und dieselbe Jahrgangsstufe entwickeln muss – den unterschiedlichen Lehrplänen in den Bundesländern sei Dank. Wenn die IrakerInnen von einem föderalen System träumen, das den Ethnien und Religionsgruppen ihre Freiräume lässt, dann sehen sie hier eine Auswirkung davon.

Doch die Diskussion bewegt sich schnell in anderen Bahnen: Rasheed Khamees Dheyab, Leiter einer Oberstufe in Bagdad, fragt sich, wo die Ideen für neue Schulbücher herkommen sollen. Der jordanische Unesco-Koordinator Qasem Al-Newarhi bietet die Unterstützung seiner Behörde an. Doch auch er ist sich der Problematik bewusst, dass bei den Fundamentalisten alles abgelehnt wird, was ein Unesco-Logo trägt oder sonstwie ausländisch aussieht. „Der Binnenmarkt im Irak ist schwach genug“, meint Rasheed. Man müsse verhindern, dass Verlage aus den Vereinigten Emiraten oder dem Westen die Aufträge ergattern. Für das Dilemma finden die Lehrer keine Lösung: Es geht nicht aus eigener Kraft, aber mit ausländischer Hilfe geht es auch nicht. Der Braunschweiger Lektor setzt sich währenddessen schon mal.

Zu vermitteln, dass nicht alles schlecht ist, was aus dem Ausland kommt, sieht der Unesco-Koordinator als wichtiges Ziel an. „Ich weiß nicht, ob ich meinen Job noch habe, wenn ich zurückkomme“, hat eine Rektorin aus dem Bagdader Fundamentalisten-Viertel Sadr City gesagt, „weil ich an diesem Programm teilgenommen habe.“ Die Angst vor religiösen Fanatikern folgt den Lehrern auch ins sichere Deutschland. Untereinander, versichern sie, könnten sie offen sprechen. Doch auf ihre Traumata und die Sorge um das eigene Leben kommt die Sprache nur zögerlich. Stattdessen meldet sich der Körper zu Wort: Einen Lehrer, berichtet Achim Rohde, überfiel so plötzlich Müdigkeit, als das Gespräch eine bedrückende Wendung annahm, dass er sofort ins Hotel aufbrechen musste.

Rasheed Khamees Dheyab und Tahseen Ali Haran sind schließlich zu einem Interview bereit. Rasheed, ganz Patriarch, lässt nichts auf seine Schule kommen. Er bewundert die autonome Position der deutschen Schulleiter. An seiner Oberstufe, berichtet er, sind alle religiösen Gruppen vertreten: Schiiten, Sunniten, Kurden und Christen. Trotzdem ist es ihm gelungen, die Gewalt herauszuhalten. Das hat seinen Preis, erläutert er: Religiöse und politische Debatten haben in der Schule keinen Platz. Zum Einfluss der Religion in der Schule gefragt, werden beide Lehrer sehr förmlich: „Religionsunterricht ist seit den neunziger Jahren ein grundlegendes Fach. Hier werden den Schülern Werte vermittelt.“ Schiiten, Sunniten und Kurden lernten gemeinsam einen „nationalen Islam“ kennen. Die Schulleiter sind müde, über ethnisch-religiöse Unterschiede zu sprechen. Deswegen verraten sie auch nicht, wer von den TeilnehmerInnen des Seminars in Braunschweig welcher Gruppierung angehört.

Außerhalb der Schule, ja natürlich, da seien LehrerInnen überfallen und SchülerInnen bei Anschlägen getötet worden. „Wer eine herausgehobene Position hat“, sagt Tahseen, „ist ein Ziel für die Fanatiker.“ Wenn er sich zu Wort meldet, nennt er die Dinge beim Namen. Rasheed unterbricht ihn auf Arabisch, beide diskutieren eine Weile. „Jeder kann ein Ziel sein“, widerspricht Rasheed. „Eine Bombe fragt nicht, wen sie trifft.“ Es gebe beides, sagt Achim Rohde: die Anschläge auf den Marktplätzen und die gezielte Jagd auf Gebildete, die im Verdacht stehen, liberal zu denken oder mit den Amerikanern zusammenzuarbeiten. Was sie zu ihrem eigenen Schutz tun? Die beiden Schulleiter zucken die Schultern. Wer außerhalb der deklarierten „safety areas“ lebt und arbeitet, könne nichts tun. Höchstens abends zu Hause bleiben. Rasheed und Tahseen vertrauen auf Gott.