Eckiger Geburtstag

MALEREI Den 75. Geburtstag von Imi Knoebel nimmt das Kunstmuseum Wolfsburg zum Anlass einer Retrospektive seiner Werke von 1966 bis heute. Durch das Nadelöhr der Reduktion findet er zur Vielheit der Vielecke

Die Tische, bei denen Knoebels polymorph-bunte Bilder Beine bekommen haben, sind sogar zu benutzen

VON RONALD BERG

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Diesen Spruch könnte man im Falle von Imi Knoebel noch etwas ergänzen: Kunst ist’s, wenn man’s trotzdem macht. Nicht dass die Anfänge des Künstlers nicht etwas Komisches hätten. Aber es schwingt auch Tragikomik darin, dass 1965 zwei junge Burschen aus der Provinz an die Kunstakademie in Düsseldorf drängen, die beide den gekünstelten Vornamen Imi tragen. Später sollte sich herausstellen, dass IMI auch der Name eines Wasch- und Scheuerpulvers war. Imi Knoebel und sein Freund Imi Giese übersetzten damals ihren Namen mit „ich mit ihm“, weil die beiden stets gemeinsam auftraten.

Dass die zwei Imis überhaupt an der Akademie aufgenommen wurden und dort sogar einen eigenen Raum bekamen, lag an Professor Joseph Beuys. Der legte keinen Wert auf überkommene Kunstvorstellungen. Knoebel hielt sich denn auch selbst für künstlerisch unbegabt. Dazu kam die bedrückende Anschauung, dass in der Kunst „alles schon gemacht“ worden sei. Mit Kasimir Malewitschs „Schwarzem Quadrat“ (zuerst ausgestellt 1915) war die Malerei eigentlich bereits zu Ende gegangen.

Im Nachhinein scheint es, als hätte Knoebel das mit Humor genommen. Tatsächlich war es ebenso Verzweiflung, als die beiden Imis noch einmal bei null anfingen. Giese stanzte Löcher ins Papier, Knoebel zog mit dem Lineal Linien übers Blatt. Er hat 250.000 Blatt auf diese Weise produziert. Dann wandte er sich doch noch der Malerei zu.

Genau hier, im Jahr 1966, setzt nun die größte Retrospektive auf das Werk von Imi Knoebel ein, die es je gab. Die 40 mal 40 Meter große Halle des Kunstmuseums Wolfsburg hat Knoebel dazu selbst eingerichtet und durch den Einsatz von drei großen Raumteilern in „Straßen“ verwandelt. Die rund 100 Arbeiten sind nur am Anfang chronologisch gehängt, dann „ist alles durcheinander“, so Knoebels Beschreibung. Den Anfang der Schau macht natürlich eine Referenz an Malewitschs Schwarzes Quadrat. Knoebels Quadrat ist allerdings leer und sieht aus, als wäre das Schwarz auf der Rückseite der rohen Leinwand platziert. Kaum mehr als ein Schatten ist zu ahnen.

Ein Sinnbild für diese Kunst ohne Inhalt findet sich auch in Knoebels Resümee auf seine Düsseldorfer Zeit. Der Titel, „Raum 19“, bezieht sich auf das damals genutzte Atelier in der Akademie. Zu sehen sind eigentlich nur Dummys von Bildern aus rohen Hartfaserplatten, die zusammengeräumt eine riesige Skulptur ergeben. Als Zutat findet sich ein grün angemalter Alu-Kasten. Knoebel nennt ihn „Batterie“, was natürlich sofort an Beuys denken lässt. In der Rückschau auf rund 40 Jahre hat Knoebel selbst mit „Raum 19“ (von 2006) noch einmal die Anfänge und das Movens seiner Arbeit formuliert: Malewitschs Ende der Malerei war auch die Chance für einen Neuanfang.

Es ist erstaunlich, was Knoebel aus Malewitschs emblematischem Quadrat alles hervorzaubern sollte. Da wird das Quadrat vervierfacht und als Kreuz zusammengelegt, ein anderes Mal ergibt sich aus den Spalten zwischen vier Quadraten eine Kreuzfigur, dann wechselt die Farbe von Schwarz zu Weiß, schließlich wird auch die weiße Farbe durch Licht ersetzt und das Bild nur noch auf die Wand projiziert. Damit war Knoebel eigentlich 1968 wieder an einem Endpunkt angelangt. Doch es ging weiter.

Bislang unerforscht blieb ja die Farbe genauso wie die Rechteckform des Bildes. Es entstehen also in der Folge bunte Vielecke. Programmatisch Knoebels „Grünes Siebeneck“ von 1975. Das entrückt an der Wand platzierte Bild ist tatsächlich nicht grün, sondern monochrom rosa. Knoebel hatte den ihm vorschwebende Grünton in der Praxis nicht hinbekommen und seine Versuche immer wieder übermalt.

Von der Serie der Vielecke kommt Knoebel dann wenig später zu freien Formen, noch stets monochrom-farbig und im Umriss eckig, zackig oder ausgehöhlt. Auch hier arbeitet Knoebel sich ab, bis sich der Ansatz der Serie erschöpft hat. Manches davon wirkt jetzt auch ziemlich beliebig. Der Vorteil der Wolfsburger Werkschau liegt aber darin, dass man Antrieb und Ursachen von solchen Bildern aus der Entwicklungsgeschichte des Werkes ableiten kann. Man sieht nun auch, dass Knoebel sich immer wieder in etwas Neues zu retten vermochte, wenn ein Produktionsprinzip durchdekliniert war und die Gefahr der Beliebigkeit übermächtig wurde.

So überrascht in der Ausstellung ein Bild, dessen schwarz gelackte hölzerne Oberfläche „all over“ mit der Säge zerfurcht wurde. Dieses „Schlachtenbild“ aus den neunziger Jahren ist ein Beispiel für Knoebels einzige gestische Phase. Doch so gegenstandslos wie formvollendet dieses Ansatz auch ausfällt, er musste Episode bleiben. Die Farbe kommt ab den späten 90ern wieder ins Spiel – und zwar exzessiv. Zugleich plustern sich die Bilder auf, verwandeln sich durch übereinandergebrachte, farbig bemalte Holzlatten zu bunten Volumina.

„Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau“, hieß die Frage bei Barnett Newman. Knoebel antwortet mit „Ich nicht“, und überbietet den Ansatz des amerikanischen Malers, indem er die Farbflächen in Rot, Gelb und Blau von der Wand nimmt und zu Raumgebilden zusammenstellt.

Humor drängt vor

Es scheint, mit dem Erfolg, den Knoebel im Laufe der Jahre immer stärker verfolgt, gewinnt auch die humorige Seite die Oberhand über die anfängliche Verzweiflung. Die Serie „Grace Kelly“ abstrahiert nicht nur das Porträt der gleichnamigen Schauspielerin bis zum Minimum. Die fünf Farbflächen liefern zugleich noch eine Anspielung auf den Hard-Edge-Maler Ellsworth Kelly, dessen Werken die Bilder formal ähneln. Selbst das „Schwarze Quadrat“ landet bereits 1984 als verehrtes Andenken auf einem abstrahierten „Buffet“, nicht anders als in der guten Stube eines bürgerlichen Haushalts.

Damit wäre dann auch die Gefahr thematisiert, die bei Knoebel immer lauert: Banalisierung. In der Ausstellung kann man jetzt auch die Tische sehen und sogar benutzen, bei denen Knoebels polymorph-bunte Bilder Beine bekommen haben. Einerseits sicher eine Ausbuchstabierung dessen, was man mit einer Tafelform so alles anstellen kann. Andererseits aber auch der gefährliche Abstieg in die Niederungen des Alltäglichen. Denn Knoebels bunte Formen sind nicht so kunstfertig, dass man ihren geistig-ästhetischen Gehalt außerhalb der Kunstsphäre wahrnehmen könnte. Eine leere Leinwand oder ein schwarzes Quadrat gewinnt seine Bedeutung nur im Kontext der Kunst(geschichte).

■ Kunstmuseum Wolfsburg, bis 15. Februar 2015