Kämpfen für mehr Geld

ARBEIT Beim Versandhändler Amazon ist die Spätschicht seit Tagen im Ausstand. Die Mitarbeiter wollen 250 Euro mehr im Monat. Ver.di hilft – und bekommt neue Mitglieder

„Amazon ist ein harter Brocken, den wir weichklopfen müssen“

FRANK BSIRSKE, VER.DI

AUS RHEINBERG ANJA KRÜGER

Frank Bsirske ist persönlich ins beschauliche Rheinberg gekommen, um den Amazon-Beschäftigten den Rücken zu stärken. „Mit eurem Streik schreibt Ihr Geschichte“, ruft der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Ver.di den Beschäftigten des Versandhändlers zu, die in die Niederrhein Messehalle gekommen sind. „Amazon ist ein harter Brocken, den wir weichklopfen müssen“, ruft er. Frenetischer Applaus. Die Stimmung in der Halle ist kämpferisch. Die streikenden Beschäftigten sind fest entschlossen, endlich den Abschluss eines Tarifvertrags durchzusetzen. „Irgendwann wird Amazon nachgeben“, glaubt der Betriebsratsvorsitzende Tim Schmidt.

Seit Montagmorgen streiken Beschäftigte des Versandhändlers in Rheinberg und an vier weiteren Standorten. Schätzungsweise 250 der 600 Amazon-MitarbeiterInnen der Spätschicht sind im Ausstand. „Heute streiken 30 Prozent mehr als beim letzten Mal im September“, sagt Schmidt. Noch vor einer Stunde haben er und seine Kollegen in gelben Streikwesten vor dem Eingang des gigantischen Logistikzentrums gestanden, Fahnen geschwenkt und gepfiffen, einige habe getrommelt. Aber: Immer wieder sind Kollegen hinter ihnen durch die Stahldrehtüren gegangen – ohne angehalten oder angesprochen zu werden. „Die haben Angst“, glaubt einer der Streikposten, der Verständnis für sie hat. „Die haben befristete Verträge und glauben, dass die nicht verlängert werden, wenn sie mitmachen.“

Es ist der fünfte Streiktag in Rheinberg, mit dem die Amazon-Beschäftigten im Schnitt 250 Euro mehr im Monat erkämpfen wollen. Die müsste das Unternehmen zahlen, wenn der Tarifvertrag für den Einzel- und Versandhandel gelten würde. „Amazon bezeichnet sich selber als Onlinehändler und ist Mitglied in der Berufsgenossenschaft Einzelhandel“, sagt Ver.di-Gewerkschaftsfunktionär Frank Michael Munkler. „Auch angesichts der Konkurrenzsituation im Einzelhandel sollte für Amazon der Tarifvertrag des Einzelhandels gelten.“ Im Moment entlohnt der Versandgigant seine Leute in Anlehnung an die niedrigsten Löhne in der Logistikbranche. Er will mit Ver.di über gar keinen Tarifvertrag verhandeln.

Das Einstiegsgehalt bei Amazon liegt bei 1.600 bis 1.700 Euro Brutto. Nach dem Tarifvertrag für den Einzelhandel bekommen die Beschäftigten mindestens um die 2100 Euro brutto. „Mir geht es nicht ums Geld, mir geht es um mehr Sicherheit“, sagt eine gelernte Friseurin, „Früher habe ich weniger verdient.“ Sie hofft, dass ein Tarifvertrag den Beschäftigten insgesamt mehr Sicherheit bringt. „Und mir einen unbefristeten Vertrag“, sagt sie.

Die Friseurin ist beim Streik im Juni bei Ver.di Mitglied geworden – so wie etwa 250 weitere Beschäftigte, die ebenfalls an diesem Tag in die Gewerkschaft eintraten. Beim Ausstand im September kamen noch einmal weit über 100 hinzu. Auch heute haben Dutzende ein Beitrittsformular ausgefüllt. „Wir werden immer mehr“, sagt Ver.di-Aktivist Oliver Franzen. Rheinberg ist eine Art Vorzeigebetrieb für Ver.di. Hier gibt es – anders als an anderen Standorten – keinen Widerstand gegen die Gewerkschaft. Wohl auch deshalb hat sich Ver.di-Chef Bsirske angesagt. „Es ist eine große Anerkennung für uns, dass er gekommen ist“, sagt Ver.di-Aktivist Franzen.

Auch in Leipzig, im hessischen Bad Hersfeld, im bayerischen Garben und im münsterländischen Werne haben Beschäftigte die Arbeit niedergelegt. Bundesweit sind nach Angaben von Ver.di 2.000 Beschäftigte in den Ausstand getreten, von rund 9.000 Festangestellten. Ver.di sieht darin einen großen Erfolg.

Amazon gibt sich von dem Streik unbeeindruckt. „Die große Mehrheit der Mitarbeiter hat regulär gearbeitet, um Kundenerwartungen zu erfüllen“, sagte Unternehmenssprecher Stefan Rupp.