Nur Hitlers willige Helfer?

Die Araber hätten die Nazis 1942/43 beim Mord an den Juden in Nordafrika und Palästina unterstützt, so die Studie „Halbmond und Hakenkreuz“. Doch es war komplexer VON GÖTZ NORDBRUCH

Die Niederlage der deutschen Wehrmacht in al-Alamein im Herbst 1942 war für die arabische Welt ein Schock. Für die Juden Palästinas war sie die Rettung. Allein die Erfolge der Alliierten verhinderten eine weitergehende Beteiligung der Araber am antijüdischen Krieg der Deutschen.

Dies ist die These einer Studie über die deutsch-arabischen Beziehungen in den 1930er- und frühen 1940er-Jahren, die kürzlich von den Historikern Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers veröffentlicht wurde. Breites Echo löste die Arbeit unter anderem deswegen aus, weil sie konkrete Hinweise auf deutsche Planungen für den Umgang mit Juden in Nordafrika und dem Nahen Osten liefert. Auf der Grundlage eines neueren Aktenfundes kommen die beiden Mitarbeiter der Forschungsstelle Ludwigsburg zu dem Ergebnis, dass auch für den südlichen und östlichen Mittelmeerraum erste Vorbereitungen für den Judenmord getroffen waren.

Die Richtlinien für ein SS-Kommando, das im Sommer 1942 unter der Führung von SS-Obersturmbannführer Walther Rauff zunächst nach Athen und wenige Monate später nach Tunis entsandt wurde, ähnelten im Wortlaut jenen, die bereits zuvor an die massenmordenden Einsatzgruppen im Osten ausgegeben worden waren. Das Kommando sei „berechtigt, im Rahmen seines Auftrages in eigener Verantwortung gegenüber der Zivilbevölkerung Exekutivmaßnahmen zu treffen“, hieß es im Befehl für das „Einsatzkommando Ägypten“ vom Juli 1942.

Zu diesem Zeitpunkt deutete alles auf einen deutschen Vormarsch auf Kairo und damit auf Palästina hin. Dass ausgerechnet Walther Rauff mit der Führung des Kommandos betraut wurde, spricht für die von Mallmann und Cüppers favorisierte Lesart der Einsatzrichtlinien. Als Verantwortlicher für die technische Ausrüstung der Einsatzgruppen in Osteuropa war Rauff zuvor unmittelbar an den dortigen Vernichtungsmaßnahmen beteiligt.

Dennoch entkamen die nordafrikanischen Juden dem Schlimmsten – ohne dass geklärt wäre, was genau das Kommando davon abhielt, mit ähnlicher Brutalität wie in Osteuropa gegen die jüdische Bevölkerung vorzugehen. Trotz schärfster Repressionen und umfassender Rekrutierungen zur Zwangsarbeit kam es während des knapp fünfmonatigen Einsatzes der SS-Truppen in Tunesien nicht zu massenhaften Tötungen von Juden.

Umso überraschender ist es, mit welcher Beiläufigkeit Mallmann und Cüppers mögliche Einwände gegen ihre Annahme, dass bereits zu jenem Zeitpunkt konkrete Vernichtungspläne für Nordafrika und Palästina bestanden hätten, beiseite schieben. So wird eine Information des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA, nach der sich Generalfeldmarschall Erwin Rommel im Juli 1942 in einem persönlichen Gespräch mit Rauff ausdrücklich gegen Vernichtungsmaßnahmen in Ägypten ausgesprochen hatte, ohne weitere Erläuterung als nicht plausibel und zweifelhaft abgetan. Der Umgang mit solchen Unklarheiten ist keine Stärke der beiden Autoren – zumal offene Fragen und Ambivalenzen der ebenso griffigen wie fragwürdigen Annahme vom Vernichtungsdrang, den die Araber mit den Deutschen geteilt hätten, abträglich wären.

An der Popularität antisemitischer Einstellungen in den späten 1930er-Jahren, die sich im politischen Handeln wichtiger arabischer Organisationen und Persönlichkeiten niederschlugen, besteht kaum Zweifel. Antijüdische Stereotypen waren in Ägypten, Palästina oder Syrien ebenso weit verbreitet wie Sympathien für Hitler. Umso ärgerlicher ist es, dass es die Autoren nicht bei diesem ernüchternden, aber belegbaren Befund belassen. Für Mallmann und Cüppers geht es um mehr: Wie in Osteuropa „bot sich analog im Nahen Osten eine unübersehbare und teilweise bereits wohlorganisierte Zahl von Arabern aus der dortigen Bevölkerung als willige Helfershelfer der Deutschen an“.

Für Differenzierungen ist dabei kein Platz. So gelingt es den Autoren, die Syrische Nationalistische Partei (SNP) in einem Atemzug mit den libanesischen Phalanges zu nennen, um den prägenden Einfluss des Nationalsozialismus hervorzuheben. Gerade in der Haltung gegenüber den Juden vertraten die beiden Parteien allerdings grundsätzlich unterschiedliche Positionen. Während sich führende Vertreter der SNP – die von Mallmann und Cüppers vielsagend als Syrische Nationalsozialistische Partei bezeichnet wird – in hasserfüllten antisemitischen Polemiken ergingen, bekannten sich die überwiegend maronitischen Phalanges ausdrücklich zum Schutz der libanesischen Juden. Trotz des auch unter libanesischen Christen weitverbreiteten Antijudaismus sahen viele Maroniten in den Juden und der zionistischen Bewegung einen möglichen Bündnispartner gegen die arabisch-muslimische Umgebung. Die Anleihen an den Nationalsozialismus verwandelten die Phalanges damit keineswegs zwangsläufig in Kollaborateure der Vernichtung. Dies macht die Organisation nicht sympathischer, spricht aber gegen die These, dass es eine uneingeschränkte arabische Begeisterung für den deutschen Judenmord gab.

Angesichts solcher Verkürzungen überrascht es wenig, dass selbst jene Akteure, die sich der deutschen Vernichtungspolitik entgegenstellten, bei Mallmann und Cüppers unerwähnt bleiben. Beispiele wie jenes des Tunesiers Khalid Abd al-Wahhab, der im Frühjahr 1943 zahlreiche Juden vor den Verfolgungen der Deutschen versteckte, kommen hier nicht vor. Die Kritik der beiden Autoren, die deutsche Nahostwissenschaft habe zu lange über arabische Kollaborationen mit dem Nationalsozialismus geschwiegen, wäre insofern um einen wichtigen Punkt zu ergänzen: Auch für jene Strömungen und Einzelpersonen, die sich dem Nationalsozialismus entschieden widersetzten, hat sich bis heute kaum jemand interessiert. Es spricht für sich, dass Abd al-Wahhab erst Anfang dieses Jahres für die Auszeichnung als „Gerechter der Völker“, die von der Jerusalemer Gedenkstätte Jad Vaschem an Retter von verfolgten Juden während des Holocaust verliehen wird, nominiert wurde. Er wäre der erster Araber, der diese Auszeichnung erhielte.

Klaus-Michael Mallmann, Martin Cüppers: „Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina“. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, 287 Seiten, 39,90 Euro