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Liebe ist ein Aftershave

Das Essener Theater spielt mal wieder mit BürgerInnen: Diesmal erzählen Jugendliche und Alte ihre Liebesgeschichte. Das ist spannend und lockt neues Publikum – solange die Laien authentisch bleiben

VON ANNIKA JOERES

Woher soll Oktav Köseoglu wissen, wer die Richtige für ihn ist? Der 17-jährige Schüler aus Gelsenkirchen ist ratlos. Hassan El-Zein aus Essen weiß immerhin, worauf „die Weiber“ stehen: Sie wollen im Park spazieren gehen und ständigen Blickkontakt. Ulla Schmidt will mit ihren 64 Jahren nicht mehr in der Warteschleife hängen. „Ich bin kompromisslos geworden“, sagt sie. Deshalb hat das Essener Theater zu einer Revue der Liebe geladen. Gezeigt werden nicht die abendfüllenden und längst bekannten Dramen. Nein, Essener BürgerInnen erzählen die jetzt selbst.

Damit setzt das Reviertheater eine alte Strategie fort: Das Theaterpublikum soll sich verjüngen und vergrößern – mit DarstellerInnen aus ihrer Mitte. Hervorragend geklappt hat das bei den „Homestories“ von Nuran Calis und Ines Habich. In dem Stück erzählten Katernberger Jugendliche über ihren Alltag. Vor einem Jahr begonnen, ist das Stück bundesweit im Gespräch und wäre fast zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen worden. Auch diesmal finden sich unter den ZuschauerInnen viele junge Menschen, die nicht zu den Stammgästen gehören. Das Konzept geht auf – Nuran Calis aber ans Kölner Schaupielhaus.

Diesmal ist das Thema enger gefasst, die Bühnengruppe dafür umso größer: 28 DarstellerInnen zwischen 15 und 75 Jahren spielen sich selbst. Das heißt: Die Jugendlichen dürfen sie selbst sein. Ahmed sagt, er sprühe sich immer Aftershave auf den Hals, den Nacken, die Hände, auf seine Sachen. Das sei wichtig. Mitra glaubt, dass Liebe süchtig macht. „Wenn man richtig verliebt ist, kann man nicht mehr aufhören. Man kann nicht mehr aufhören zu lieben und geliebt zu werden.“ Die 16-jährige Zakieh hat ihr eigenes Rezept für ein erfolgreiches Rendez-Vous: „Beim ersten Date lächle ich ganz viel und bin arrogant.“ Sagt‘ s und tanzt wilden Hiphop. Die jungen SpielerInnen aus dem eher ärmlichen Essener Stadtteil Katernberg fangen an, sich Liebeserklärungen in ihren verschiedenen Sprachen zu machen und sich an die Düfte ihrer Heimat in England, Russland, Kasachstan, der Türkei oder dem Iran zu erinnern. Liebe ist für sie eine ausgemachte Sache, ein Plan. Sie alle haben Strategien für das Paarleben. Nur einmal werden sie sentimental: Wenn sie ihre Mutter besingen. Drei Jungs mit zurück gegelten Haaren und weiten Baggypants singen ein schnulziges Lied über ihre heißgeliebte „Mama“, der eine „Träne über das Gesicht“ läuft. Mama ist noch ergreifender als das andere Geschlecht.

Zum wirklichen Gegenspiel mit den älteren DarstellerInnen kommt es leider nicht. Die über 60-Jährigen sind auf Jung getrimmt, wirken etwas unbeholfen in dem Bühnenbild aus Matratzen und riesigen Kissen. Sie sind nicht sympathisch Weise, sondern wollen ihre eigene Jugendlichkeit zeigen: So stehen auch sie singend auf einer Spülmaschine, erzählen von tollen Orgasmen mit 50 und längst Verflossenen. Wie sie jetzt ihre Partnerschaft erleben, wie sie fühlen, bleibt leider verborgen.

Hier offenbaren sich die Grenzen des Laientheaters: SeniorInnen in fremde (Wunsch-) Rollen zu stecken wirkt zwangsläufig gekünstelt. Die Jugendlichen mussten nicht aus ihrer Haut. Sie kommen so sympathisch, unverfroren und auch mal nervig rüber wie zum Beispiel in der Straßenbahn. Diese echten Typen sind interessant. So interessant, dass auch zukünftig neue Zuschauergruppen ins Essener Theater strömen sollten.

GlaubeLiebeHoffnung: Liebe Sa, 19:00 Uhr, Casa Nova, Essen Infos: 0201-8122200

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