Der letzte Countdown

Wie George Bush doch einmal Recht hatte und Braunschweig vom Erdball gefegt wurde

Ich hatte mir den Knall irgendwie lauter vorgestellt

Die Gurkenkönige von Eintracht Braunschweig hatten also wieder mal den Arsch vollgekriegt. Da halfen keine Pillen. Nicht mal die den Gegner demoralisierensollenden Hyperschmäh-Choräle aus der Südkurve zeigten Wirkung. „Alle können kicken, nur der Geißbock nicht, / der kann das nicht, das Arschgesicht.“ Die Kölner lachten einfach mit und schossen sich warm.

Selbst als der Eintracht-Coach in der zweiten Hälfte die Ultima-Ratio-Losung ausgab – „kapott träten!“ –, änderte sich nichts, die rheinischen Spielverderber sprangen über die angespitzten Killerflanken einfach so hinweg. „Wenn nicht mal mehr das geht, dann steigense ab“, flüsterte Freund Pünschel. „Ich bin enttäuscht.“ Und seine Augen schwammen. „Du darfst das nicht so an dich herankommen lassen“, sagte ich. „Ach komm! Frustfressen beim Schotten …“ – „Au fein“, jubilierte er wie ein Zeisig. „Du zahlst!“ – „Wer als Erster bei McDonald’s ist, der muss bluten“, kommandierte ich. Das ist die einzige Sprache, die er versteht.

Kurz vor der schmackhaft bunten, gut zwei Quadratmeter verbrauchenden Leuchtspeisekarte, die all die vielen kleinen Unterschichts-Schweinereien feilbot, stieg er als deutlicher Sieger ins Eisen und hinterließ einen moribunden, aber fast schnurgeraden Strich Reifengummi auf der Straßendecke – als Ausweis seines Triumphs. Triumph des Willens!

„Guten Tag, Ihre Bestellung, bitte!“, schnarrte es aus dem halbhohen, weißgetünchten Obelisken. Es war ein Weibchen! Pünschel ging ganz nah heran an den Bestellpfeiler und versuchte durch die Eisenlamellen zu sehen, hinter denen sich aber nur die Gegensprechanlage befinden konnte. Er war zu schmal. „Drei Big Mäc, zwei Pommes-Jumbo-Tüten, oder wie die heißen, zwei Apfeltaschen, und einen Eimer mit Erdbeershake – den größten!“ Und dann trat er noch höhnisch nach. „Mein Kumpel zahlt nämlich.“

Ich bestellte auch noch eine Kleinigkeit, ein Tütchen Pommes, denn zu mehr reichte es nicht mehr, wie mir meine im Geiste befragte Barschaft bestätigte. „Das war alles?“, fragte das freundliche Mädchen aus der Säule. „Ja, verdammt“, bellte ich unwirsch. „17 Euro 47, am zweiten Fenster, bitte!“

Jetzt ließ mir Pünschel gern den Vortritt. Wir fuhren gemächlich an das Restaurant heran, passierten das verwaiste erste Fenster und hielten an der geöffneten Futterluke, wie uns fernmündlich geheißen. Da erst sahen wir diese braungebrannte geile Sau in Uniform, und sie uns. Sie schüttelte lachend, aber doch energisch den Kopf. „Nein, nein, tut mir leid, das geht nicht. Da müssten Sie bitte hereinkommen und drinnen …“ – „Wie … was geht nicht?“ Ich verstand nicht recht. „Ich darf Sie nicht bedienen!“, sagte sie immer noch resolut, aber eine zarte Röte umspielte nun doch ihre stolzen, hohen, einer äthiopischen Stammesprinzesssin allemal würdigen Wangenknochen. „Oaah, ich habe mich gerade verliebt“, flüsterte mir Pünschel zu, aber ich beachtete ihn gar nicht, denn ich wollte es jetzt wissen. „Aber warum … dürfen Sie uns nicht bedienen?“ – „Leider erst ab 400 Kubikzentimeter!“, nickte sie ernsthaft. Ich starrte sie an, und sie schlug lieblich ihre Augen zu Boden.

Das sei doch alles bloße, einmal mehr die Stinkmähre bevorzugende, nachgerade fahrradverachtende Schikane, jawohl, entfuhr es mir schnaufend. Sie schüttelte sanft den Kopf und setzte uns nun geduldig die Sicherheitsvorschrift 19 Strich D oder so auseinander, die durchaus einleuchtend davon ausging, dass wir ganz schnell mal von unseren Rädern absteigen, durchs offene Fenster greifen und in der Kasse Unordnung stiften könnten. „Mit ’ner Vierhunderter geht das nämlich nicht so schnell“, nickte sie euphorisch und im vollen Einverständnis mit Punkt 19 Strich D oder so, „die ist doch viel zu wuchtig. Bis Sie die auf den Ständer gebockt haben, habe ich das Fenster schon unten.“ – „Auf ’nen Ständer … gebockt haben“, wiederholte Pünschel verträumt. „Aber in der ganzen Zeit, in der wir jetzt schon so angenehm miteinander plaudern“, egelte ich mich an sie heran, „hätten wir Sie doch längst, ääh, erleichtern können?“ Sie machte ein ganz unglückliches Gesicht. „Aber ich darf es doch nun mal nicht. Ich will doch nicht meinen Job gefährden wegen so einer Sache. Der Chef hier hat mich sowieso schon auf dem Kieker …“

Pünschel schrie plötzlich hysterisch. „Nun krall dir schon endlich die Lappen und lass uns abhauen, bevor die Bullen hier anrauschen.“ Um dann noch wie zur Erklärung hinterherzuschieben. „Ich bin auf Bewährung, Mann …“ Sie und ich, wir beide sahen ihn verwirrt an. Dann riss sich diese Königstochter ihr Headset vom Kopf und pfefferte es auf die Kasse. „Monika, hier sind schon wieder zwei Spinner, kannst du die übernehmen, ich muss mal aufn Pott!“

Und dann – plötzlich! – fiel die iranische Atomrakete auf Braunschweig und löschte alles organische Leben im Umkreis von 50 Kilometern ratzekahl aus – mit einer heiligenscheinartigen, hübsch anzusehenden Luminiszenz und einem Knall, den ich mir irgendwie lauter vorgestellt hatte. Das Atomprogramm der Scheiche!, dachte ich in den letzten Zehntelsekunden meiner irdischen Existenz. Und ich fühlte Bedauern, denn wir alle hatten George W. Bush, dem Führer der freien Welt, Unrecht getan. Wir hatten ihm misstraut, nur weil er nicht richtig reden konnte.

Aber jäh überkam mich auch eiskalte Wut. Warum Braunschweig? Die sollte doch bestimmt Berlin zerschroten! Die Schweine hatten sich verrechnet. Scheiß-Mullahs, erfinden die Zahlen, aber können damit nicht umgehen. Ich sah Pünschel zum letzten Mal an. Er nickte mir zu, und es lag Ruhe und eine fast schon unangenehme Selbstgefälligkeit auf seinem kalkigen Antlitz. Ich wusste sofort, was er mir zu verstehen geben wollte, und er hatte Recht. Immerhin würde Eintracht der Abstieg erspart bleiben … FRANK SCHÄFER