Das lange Warten auf Verstärkung

Mit einer umfassenden Polizeireform wollte der Westen in Afghanistan für mehr Sicherheit sorgen. Die Ergebnisse sind mager. Am Polizeiposten von Major Samerud Sazai gilt es schon als gute Nachricht, dass jeder Beamte seine eigene Waffe hat

AUS GARDEZ PETER BÖHM

Major Samerud Sazai wartet verzweifelt auf Verstärkung. Umgeben von ein paar barfüßigen Polizisten in ausgewaschenen Uniformen, erklärt er, mit wie wenig sein Polizeiposten auskomme muss. Er liegt am Fuß des Sato-Kandow-Passes, 35 km östlich von Gardez, der Hauptstadt der südostafghanischen Provinz Paktia. Zahllose Lastwagen quälen sich über die staubige Piste. Sie bringen Waren aus Pakistan und manchmal bringen sie auch die Taliban.

Im März explodierte eine Granate an der Rückwand der Polizeistation. Dennoch verfügt Sazai nur über 14 Polizisten statt der Sollstärke von 63. „Wir haben ein gutes Funkgerät, das uns die US-Militärs gegeben haben“, berichtet der Major. Mit ihm könne er die Amerikaner in Gardez informieren. Untereinander mit eigenen Geräten funken können seine Beamten indes nur, solange sie in Sichtweite bleiben.

Ein normaler Polizist in Afghanistan verdient monatlich 70 US-Dollar. „Zum Leben zu wenig“, sagt Sazai. „Die Hälfte meiner Polizisten hat mich gewarnt, dass sie ihre Drei-Jahres-Verträge nicht verlängern werden.“ Aber Sazai hat auch gute Nachrichten: „Jeder Polizist hat eine eigene Waffe.“

Die Polizeistation am Sato-Kandow-Pass ist typisch für eine Polizeistation in Afghanistan. Weil die Ordnungshüter in abgelegenen Distrikten oft die einzigen Vertreter der afghanischen Regierung sind, tragen sie die größten Verluste bei den Angriffen der Taliban. Auch sechs Jahre nach dem Sturz der Taliban sind die Posten der Staatsdiener unterbesetzt, sie selbst unterbezahlt und überfordert. Nach Angaben von Bill Wolfe, dem Vertreter des privaten US-Sicherheitsdienstes DynCorp in Gardez, haben 300 Polizisten aus vier Provinzen Ost- und Südafghanistans angekündigt, ihre Verträge nicht zu verlängern. Das entspreche einem Viertel aller jährlich ausgebildeten Rekruten in der Region, so Wolfe. Dennoch hoffen die Beamten vergeblich auf bessere Bezahlung. Die Gehälter zahlt die internationale Gemeinschaft. „Wenn die afghanische Regierung die Polizei irgendwann übernehmen soll“, sagt der UNO-Sondergesandte für Afghanistan Tom Koenigs, „müssen die Gehälter einigermaßen niedrig sein.“

Weniger Verständnis hat Koenigs jedoch für die geringe Zahl der Ausbilder, die der Westen an den Hindukusch geschickt hat. „Im Kosovo haben wir, um eine Polizei mit 10.000 Polizisten aufzubauen, 4.800 Polizisten geschickt.“ Deutschland hatte aus den Bundesländern zuletzt nur rund 40 Ausbilder zusammenbetteln können. Zwar schickt die EU jetzt noch einmal 195 Beamte. „Doch letzten Endes bräuchte man Tausende“, klagt Koenigs.

Deutschland hat die Federführung bei der Polizeireform und bildet langfristig Beamte der mittleren und höheren Ränge aus. Doch die USA haben ein Vielfaches in die Polizeiausbildung investiert. Das Gros der Ausbildung erledigen Sicherheitsfirmen wie DynCorp mit kurzen Crash-Kursen, deren Absolventen nach Meinung von Kritikern häufig nicht einsetzbar seien, weil sie nicht einmal lesen und schreiben können.

Im Mai hat die afghanische Regierung angekündigt, die Polizei um 19.000 Mann auf 82.000 aufzustocken. Die Mehrheit der neuen Rekruten wird sich der so genannten Hilfspolizei (Anap) anschließen. Die Provinz Paktia sollte mit drei Nachbarprovinzen eigentlich als Modell für die Polizeireform im Rest des Landes gelten. Menschenrechtler äußern sich jedoch äußerst besorgt über die Tatsache, dass sich die Hilfspolizei hauptsächlich aus lokalen Milizen rekrutiert. Der Sprecher der Afghanischen Unabhängigen Menschenrechtskommission, Ahmad Nader Naderi, sieht Parallelen zur Anarchie des Bürgerkrieges. „In Afghanistan gab es diese Hilfspolizei schon unter dem pro-sowjetischen Regime in den 80er-Jahren,“ sagt Naderi. „Einige ihrer Vertreter wurden später zu den mächtigsten Warlords, die für schwerste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind.“

Und auch zwischen regulärer und Hilfspolizei zeichnen sich die ersten Grabenkämpfe schon ab. So können sich derzeit die zwei Polizeichefs der Region nicht darauf einigen, wer das nagelneue Polizeihauptquartier in Gardez bezieht. Hinter dem Streit steht der Konflikt von ANP und Anap. Der Polizeichef für die aus vier Provinzen bestehende Region, General Satar, ist für die ANP zuständig. Sein „Gegenspieler“, der Polizeichef der Provinz Paktia, General Sarjein, ist verantwortlich für die Hilfspolizei. Anfang Mai sollte das Gebäude feierlich eingeweiht werden. Auf das Zeremoniell und seine neuen Bewohner wartet das Quartier bis heute.