Häuser in Bewegung bringen

GROSSER PREIS Axel Schultes ist für seine modernen und kunstvollen Architekturen ausgezeichnet worden

Wer etwas über Angela Merkels Bundeskanzleramt herauskriegen möchte, macht das am besten nachts. Nicht durch einen Einbruch, sondern mit offenen Augen und etwas Fantasie: Der gläserne Turm erinnert dann an ein hell erleuchtetes Achterdeck. Weiße und schwarze Betonkuben führen Schattenspiele auf. Die wuchtigen Säulen vor dem Haus und die geschwungenen Dächer darüber scheinen sich zu bewegen. Alles fließt. Das Kanzleramt ist eine grandiose Architektur aus Fläche und Raum, Licht und Bewegung. Axel Schultes, Berliner Architekt, hat diesen schnittigen Regierungstanker von 1995 bis 2001 gebaut.

Für seine modernen und zugleich kunstvollen Architekturen ist Schultes mit dem Großen Preis des Bundes Deutscher Architekten (BDA) 2014 ausgezeichnet worden. Im Sommer hatte eine Jury sich für Schultes ausgesprochen, kürzlich wurde ihm der Preis verliehen. Es ist die renommierteste Auszeichnung für Architekten in Deutschland; seit 1964 vergibt sie der BDA. Zu den bisherigen Preisträgern gehören die großen Stars der Szene: Hans Scharoun, Mies van der Rohe, Oswald Mathias Ungers.

Berlin nach 89 geprägt

Schultes, der auch das Bonner Kunstmuseum (1993) entworfen hat, war und ist in erste Linie ein Berliner Architekt. Büro- und Wohnbauten, Verkehrsarchitekturen und das Krematorium hat er hier realisiert. Wie kein anderer Planer hat Schultes die Stadt nach dem Fall der Mauer städtebaulich geprägt. Die zentrale Figur des Regierungsviertels, das „Band des Bundes“ zwischen Spreebogen und Reichstag, entwarf er 1993 mit Charlotte Frank. Bis heute klafft im Hauptstadt-Band zwischen Kanzleramt im Westen und Paul-Löbe-Haus im Osten eine Lücke. Aktuell wird über ein Besucherzentrum für den Reichstag dort diskutiert.

In seiner Laudatio beim Festakt bezeichnete der Soziologe Ullrich Schwarz Schultes als „eine Art Solitär in der deutschen Architektur der letzten Jahre.“ Was stimmt: Während in Berlin postmodern gebaut oder über die Rekonstruktionsfragen gestritten wurde, ging Schultes eigene Wege. Sein Stil ist zwar einer Moderne verpflichtet, die Bauten sind durchaus monumental. Gleichwohl konterkariert Schultes die eigene Handschrift spielerisch: Masse wird leicht, Räume öffnen sich, starre Formen geraten in Bewegung – wie die schweren Säulen vor dem Kanzleramt. Der „Solitär“ Schultes ist noch etwas: kein Sonderling, sondern ein großer und sympathischer Architekt. ROLA