berliner szenen Clärchens Prallhaus

Der traurigste Ort

Ich laufe nachts die Auguststraße entlang, will unbedingt weiter trinken und stolpere in Clärchens Ballhaus. Das klingt irgendwie schräg, vielleicht ist es ja doch so was wie das Möbel Olfe von Mitte, ein alter Ort mit neuen Leuten. Meine Kreuzberger Freunde schimpfen immer über Mitte, vielleicht beweist ihnen die Nacht heute, dass es dazu keinen Anlass gibt.

Als der Türsteher mit gestärktem weißen Kragen und Manschettenknöpfen „Bitte Danke die Dame“ sagt, verbuche ich das noch unter Ironie. Der Raum, in den ich gehe, sieht beeindruckend aus: groß, hoch, eine gigantische Spiegelkugel an der Decke. Die livrierten Ober irritieren mich, geschäftig laufen sie über die Tanzfläche. Vereinzelt bewegen sich dort Paare zu einer Musik, die klingt, als würde André Rieu Madonna nachgeigen. Einige der Paare zählen nickend die Taktzeiten mit dem Kopf, wenn sie sich drehen. Die Frauen haben kleine Handtaschen umgehängt, fast alle tragen ausgestellte Röcke und Pumps. „Drei, vier!“, herrscht ein Mann im Konfirmandenanzug seine Partnerin an. Demütig wiederholt sie den verpatzten Schritt. Freizeit scheint hier Arbeit zu machen.

Die nicht tanzen, sitzen –hauptsächlich Frauen Anfang vierzig, zu zweit oder zu viert, das schöne Händchen auf der weißen Tischdecke, ein nüchternes Mineralwasser vor sich. Ich sehe viele Perlenketten und eine Trauer im Blick, die mir das Herz zerreißt. Auch heute hat es mit dem parkettsicheren Mann nicht geklappt.

Was tun? Am besten schnell eine Runde Jägermeister ausgeben und sie dann alle wegreißen von dem traurigsten Ort Berlin. „Hau ab!“, zischt eine Perlenkette mich an. „Das mache ich sofort!“, antworte ich und fahre nach Kreuzberg. JUTTA RAULWING