Schulkinder auf Nulldiät

Immer weniger Schulkinder an Ganztagsschulen werden mittags satt. Denn viele Eltern können den Monatsbeitrag nicht zahlen. Politiker wollen deshalb die Essenssubvention im Schulgesetz verankern

VON NANA GERRITZEN

Leerer Magen studiert bekanntlich nicht gern. Deshalb gibt es in den meisten Betrieben Kantinen, in den Universitäten Mensen und in den Schulen ein gemeinsames Mittagessen. Allerdings nehmen immer weniger Schulkinder der Ganztagsgrundschulen an der gemeinsamen Schulverköstigung teil. Weil viele Eltern den nicht subventionierten Monatsbeitrag von rund 42 Euro oftmals nicht auftreiben können, müssen sich die anderen mit einer Lunchbox begnügen – oder essen gar nichts. Doch obwohl die meisten der 46 gebundenen Ganztagsgrundschulen in sozial schwachen Bezirken gegründet wurden, gibt es bisher keine Sonderregelungen für finanzschwache Familien.

Erhard Laube, Vorsitzender der Schulleitervereinigung, spricht von einem „gesellschaftlichen Skandal“. In Ganztagsschulen entstünden Dreiklassengesellschaften. Ganz oben diejenigen, die ein warmes Mittagessen erhielten, daneben die, die nur ein Brot mitbekommen, und schließlich „immer mehr Kinder, die den ganzen Tag ohne Essen bleiben“. Er fordert die Politik auf, das gemeinsame Mittagessen verbindlich ins Schulgesetz aufzunehmen. Eltern, die nicht zahlen wollen oder können, empfiehlt der Leiter der Spreewald-Grundschule einen Wechsel zum offenen Ganztagsbetrieb – denn an diesen Schulen ist der Essenbeitrag schon im Preis enthalten.

Auch die PDS fordert nun staatliche Abhilfe. „Wir unterstützen den Vorschlag, Schülern der gebundenen Ganztagsschulen ein subventioniertes Mittagessen für monatlich 23 Euro zur Verfügung zu stellen“, sagt Margrith Barth. Zumindest solle das für Schulkinder gelten, die aufgrund der finanziellen Situation ihrer Eltern auch von der Lehrmittelzuzahlung befreit sind, so die kinderpolitische Sprecherin der Linken.

Anders sieht das die FDP. Bereits im März hatten die Liberalen den Senat aufgefordert, sich der Problematik Schulverpflegung anzunehmen. Eltern sollten sich bei der Anmeldung ihrer Kinder an gebundenen Ganztagsschulen vertraglich verpflichten, den monatlichen Beitrag zum Essensgeld zu entrichten, hieß es da. „Es ist Aufgabe der Eltern, ihre Kinder zu versorgen“, betont Mieke Senftleben. Einen Bedarf nach Sonderregelungen für Kinder von Geringverdienern oder Arbeitslosen sieht die bildungspolitische Sprecherin der FDP nicht. „Auch ALG-II-Empfänger erhalten einen monatlichen Satz von 207 Euro für ihre Kinder und können damit den Essensbeitrag bestreiten“, so Senftleben. Die Kosten von täglich rund 2 Euro hält sie für angemessen.

Leider hinkt die Argumentation der FDP-Politikerin. Von dem ALG-II-Regelsatz von monatlich 207 Euro pro Kind muss nicht nur der Bedarf an Nahrungsmitteln gedeckt werden. Die täglichen 6,79 Euro müssen sämtliche Lebenshaltungskosten abdecken, unter anderem Möbel, Kleidung, Körperpflegeprodukte, Schulbedarf, Arzneimittel und Transportkosten. Für den täglichen Nahrungsbedarf sind tatsächlich nur 2,60 Euro festgesetzt. Abzüglich eines täglichen Essensbeitrags von rund 2 Euro blieben einer Familie, die von Arbeitslosengeld II oder einem ähnlich geringem Erwerbseinkommen leben muss, somit nur 60 Cent, um Frühstück, Abendessen und Zwischenmahlzeiten ihrer Sprösslinge zu finanzieren.

Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) hatte die Nichtsubventionierung des Essens an gebundenen Ganztagsgrundschulen bisher mit der kostenfreien Nachmittagsbetreuung gerechtfertigt. Darüber hinaus seien dem Senat nur von Einzelfällen bekannt, in denen Kinder aus finanziellen Gründen nicht am Mittagessen teilnehmen könnten. Zöllner stützte sich dabei auf eine Umfrage, die Anfang 2006 an den Schulen stattgefunden hatte. Demnach hatten damals von den 2.053 Kindern, die nicht an der Schulspeisung teilnahmen, „nur“ 737 aus finanziellen Gründen auf ein warmes Essen verzichtet. Inzwischen lenkt Zöllner ein: „Wir müssen die Essensregelungen in den gebundenen und offenen Ganztagsgrundschulen auf eine gemeinsame Basis stellen“, erklärte er vergangene Woche. Der Senat werde ein Gesamtkonzept entwickeln. Ob dieses Konzept den Kindern wirklich zugute kommt oder die Berliner Tafel künftig Suppenküchen in den Schulen aufbauen muss, bleibt abzuwarten.