Kurzer Einbruch in die Idylle

Beim Aktionstag gegen Gentechnik in Groß Lüsewitz sind sich Protestler und Dorfbewohner einig: „Die Konzerne machen doch sowieso, was sie wollen“

Von Genmanipulation hat der frühere Kartoffelzüchter Reinhard K. vor wenigen Jahren zum ersten Mal gehört

Reinhard K. leidet unter Bluthochdruck. Jeder Gang fällt ihm schwer. Deshalb verfolgt der 69-Jährige vom Küchenfenster aus, was an diesem Sonntag vor seiner Haustür passiert. Seit über 50 Jahren wohnt er in Groß Lüsewitz, einem 750 Einwohner zählenden Ort 15 Kilometer östlich von Rostock. Doch so etwas hat er noch nicht erlebt: Dutzende Polizeifahrzeuge mit Kennzeichen, die ihm nichts sagen, parken vor seinem Küchenfenster. Darin eingesperrte Polizeihunde kläffen so laut, dass man sein eigenes Wort nicht versteht.

In Groß Lüsewitz ist „Aktionstag Landwirtschaft“. In dem kleinen Ort gibt es zwei Einrichtungen, die Kartoffeln, Mais und Raps gentechnisch verändern: die Bundesanstalt für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen, bis zur Wende Institut für Kartoffelforschung, und das Agrobiotechnikum, eine führende Einrichtung in der Begleitforschung von Bio- und Gentechnologie in der Landwirtschaft.

Während an dem alten DDR-Institut die Farbe abblättert, hat jemand an die frische Fassade des Agrobiotechnikums „Farbbeutel sind keine Argumente, aber eine Sprache, die sie verstehen“ gesprüht. Die Gebäude werden von Dutzenden Polizeibeamten aus Hessen bewacht.

Dabei ist das Geschehen auf der Dorfstraße geradezu idyllisch. Mitglieder von Bürgerinitiativen sitzen vor Transparenten wie „Keine Macht den Gentechnikkonzernen“ auf Holzbänken mit Materialien und Bantam-Maispflanzen. Die Dorfbewohner interessieren sich aber viel mehr dafür, dass es friedlich bleibt. „Hoffentlich werfen keine Chaoten Steine“, sagt eine ältere Dame im Sonntagsstaat. Als um 13 Uhr die Nachricht kommt, dass Aktivisten die Versuchsfelder besetzt hätten, setzt sich die Polizei mit quietschenden Reifen in Bewegung.

„Ich kann mit dem Thema schon etwas anfangen“, sagt Reinhard K. Über 30 Jahre hat er als landwirtschaftlich-technischer Assistent im Institut für Kartoffelforschung gearbeitet, bis zur Wende 1990. Stolz erzählt er, wie sein Kollektiv es schaffte, den Ölgehalt von Rapspflanzen „durch natürliche Auslese“ von 42 auf 48 Prozent zu steigern. Natürlich habe es auch Reinfälle gegeben. Bei der Züchtung von Kartoffeln zum Beispiel. „Die sahen schwarz aus und schmeckten scheußlich.“ Das Wort „Genmanipulation“ hat Reinhard K. vor wenigen Jahren zum ersten Mal gehört. „Wenn ich wüsste, was dabei rauskommt“, sagt er. „Letztendlich geht es doch nur ums Geld.“ Seine Frau, die ebenfalls dort gearbeitet hat, sieht das genau so. „Aber wir sind aus dem Protestieralter heraus“, sagt die 72-Jährige.

Den Sohn interessiert der Aktionstag wenig, zu dem nur ein Bruchteil der angekündigten 1.000 Demonstranten gekommen ist. „Die Konzerne machen doch sowieso, was sie wollen.“

PS: Am Nachmittag nimmt die Polizei einen Demonstranten in Gewahrsam, der eines der Versuchsfelder betreten will. Er sagt, er habe „ein dringendes Bedürfnis“ verspürt.

BARBARA BOLLWAHN