Alle Europäer sollen abstimmen dürfen

Der Altmaier-Vorschlag einer Volksabstimmung über die europäische Verfassung spaltet die deutschen Parteien

„Die Zeit der bloßen Regierungskonferenzen ist vorbei“

BERLIN taz ■ Wenn sich die Politiker nicht einigen können, soll das Volk entscheiden. Peter Altmaier (CDU) – Staatssekretär im Bundesinnenministerium und Präsident des Verbandes Europa-Union – hat sich im Interview mit der taz für ein europaweites Referendum über die EU-Verfassung ausgesprochen. Die Front zwischen Gegnern und Befürwortern einer solchen Idee verläuft quer durch alle Parteien.

Grünen-Chef Reinhard Bütikofer sprach sich der taz gegenüber klar für ein europaweites Referendum aus. Zusätzlich zu der Ratifizierung der Verfassung durch die Staaten müsste europaweit ein konsultatives Referendum abgehalten werden: „Die Zeit der bloßen Regierungskonferenzen ist vorbei“, sagte er. Wenn es nach einem Parteiratsbeschluss der Grünen von 2005 ginge, fände die Abstimmung bereits in wenigen Wochen statt, nämlich am Europatag am 9. Mai.

Altmaier fordert eine Volksabstimmung für den Fall, dass es den Staats- und Regierungschefs nicht gelingt, sich bei den derzeit laufenden Verhandlungen auf einen Kompromiss zu einigen. Dann sollte seiner Meinung nach in allen Staaten der EU am selben Tag über die Verfassung abgestimmt werden: „Wir dürfen nicht zulassen, dass dieses Projekt an nationalen Egoismen in einzelnen Ländern scheitert“, sagte Altmaier.

Der Europapolitiker Matthias Wissmann teilt die Forderung seines Parteikollegen Altmaier jedoch nicht und lehnt ein europaweites Referendum ab. Er glaubt, man könne den Bürgern derjenigen Länder, die bereits über die Verfassung abgestimmt haben, einen erneuten Urnengang nicht zumuten. Und auch die SPD ist gespalten: Während der europapolitische Sprecher der Partei, Axel Schäfer, dafür ist, äußerte sich der Europastaatsminister im Auswärtigen Amt, Günter Gloser, zurückhaltender: Viele Staaten könnten ein europaweites Referendum als Beleg für einen europäischen Superstaat werten, argumentiert er.

Auch Markus Löning, der europapolitische Sprecher der FDP, teilt diese Bedenken: „Man muss die Ängste, von den Großen überrollt zu werden, ernst nehmen“, sagte Löning. Anders sei dies bei nationalen Referenden, die die FDP seit Jahren fordert.

Zuletzt wurde in Deutschland vor zweieinhalb Jahren über ein Verfassungsreferendum diskutiert. Ein Gesetzentwurf der damaligen rot-grünen Bundesregierung zu einer nationalen Abstimmung wurde allerdings mit dem Argument verworfen, die für eine Grundgesetzänderung notwendige Zweidrittelmehrheit werde ohnehin nicht zustande kommen.

Die Argumentation der Kritiker: Abstimmungen über so abstrakte Themen könnten von populistischen Gruppierungen missbraucht werden. Ingolf Pernice, Verfassungsrechtler an der Humboldt-Universität, ist sich sicher, dass ein nationales Referendum „in die Hose“ gehen würde. Er spricht sich aber für die europäische Variante aus. Allerdings sollte das Ergebnis der Abstimmung rechtlich nicht bindend sein. Sonst müssten die europäischen Verträge geändert werden.

Bislang ist völlig unklar, was geschehen würde, wenn die Bürger eines Landes nein sagen würden. Sollen sie sich dann der europäischen Mehrheitsmeinung beugen? Oder soll das Land aus der Union austreten? Löning glaubt, dass in Deutschland der Druck groß wäre, die Verfassung nicht zu ratifizieren. Und: „Als Konsequenz müsste Deutschland dann aus der EU austreten.“ Bütikofer hingegen ist sich sicher, dass es so weit nicht kommen würde.

Seit dem Wochenende sammelt die Europa-Union Deutschland mit Altmaier an der Spitze Stimmen für ein europaweites Referendum. Sobald eine Million Bürger unterschrieben haben, soll die Forderung den Staatsoberhäuptern der EU vorgelegt werden. Der Verfassungsentwurf schreibt genau dieses Verfahren fest: Wenn sich künftig eine Million Bürger für ein Gesetzesvorhaben aussprechen, muss sich die Kommission damit auseinandersetzen. NICOLE MESSMER