AUCH WENN SEEHOFER CSU-CHEF WÜRDE, WÄRE DAS KEIN FORTSCHRITT
: Fast immer auf Linie

Abgerechnet wird am Schluss. Es kann also sein, dass Horst Seehofer seinen langen Kampf um den CSU-Vorsitz doch noch gewinnt – dank einer fulminanten Rede auf dem Parteitag im September. Wie man so etwas macht, hat Oskar Lafontaine einst bei der SPD gezeigt, als er den drögen Rudolf Scharping im Duell auf offener Bühne übertrumpfte. Auch Seehofer ist seinem Konkurrenten, dem bayerischen Wirtschaftsminister Erwin Huber, rhetorisch deutlich überlegen. Aber ob das reicht? Im Moment sieht es eher so aus, als habe Seehofer seine Chancen schon verspielt. Der Kandidat kann froh sein, wenn es überhaupt zu einem Showdown kommt. Wenn er nicht vorher aufgeben muss.

Möglicherweise hat der Stern seine jüngste Äußerung über Belastungsmaterial, mit dem er Gegner blamieren könnte, zu einer Drohung aufgebauscht. Doch dass sich der erfahrene Politprofi zu unappetitlichen Andeutungen hinreißen ließ, ist unbestritten – und ein Zeichen von Verzweiflung. Seehofer verliert die Nerven, weil seine Strategie danebenging. Einfach auf den großen Moment, auf die Redeschlacht, zu warten – das ist zu wenig, wenn ein Wahlkampf neun Monate dauert.

Auch Delegierte lesen Zeitung. Wer sie überzeugen will, muss rechtzeitig Sympathiepunkte sammeln und Eigenwerbung betreiben. Das hat Seehofer versäumt. Ein inhaltliches Argument, warum er für den CSU-Vorsitz besser als Huber geeignet sei, hat er nicht geliefert. Stattdessen ließ er zu, dass sich die Republik mit seinem außerehelichen Verhältnis beschäftigt. Statt zu seinem Privatleben konsequent zu schweigen, erklärte Seehofer im Januar selbst, seine Wähler hätten ein Recht auf klärende Worte – die aber bis heute ausblieben.

Seehofer scheint an der komplizierten Doppelmoral in Bayern zu scheitern. Bedauern muss man das nicht. Auch er hätte die CSU kaum umgekrempelt – sosehr er sich in der Gesundheitspolitik als „Linker“ gab. Bei allen anderen Themen blieb er stets auf Linie. Gesellschaftspolitisch ist Seehofer sogar noch konservativer als die Kollegen. Das Zuwanderungsgesetz bekämpfte er länger als Beckstein und sturer als Huber. LUKAS WALLRAFF