Tarifflucht unter falscher Flagge

Die internationale Transportgewerkschaft ITF schickt diese Woche Gewerkschaftstrupps in die norddeutschen Häfen, um Tarifverträge für die Seeleute auf Billigflaggschiffen zu erkämpfen. Unterstützung wird dabei von den Hafenarbeitern erwartet

Zum zwölften Mal bereits führt der Weltverband der Verkehrsgewerkschaften (ITF) seine Aktionswoche in nordeuropäischen Häfen durch. Insgesamt kämpft die ITF bereits seit mehr als sechzig Jahren um bessere Arbeitsbedingungen in der Seeschifffahrt. Barbara Ruthmann von der ITF sagt, dass dieser Kampf „relativ erfolgreich“ sei – aber eben nur relativ. Nach wie vor fährt rund die Hälfte aller Containerschiffe deutscher Reedereien unter der Flagge eines Billiglohnlandes wie Panama oder Antiqua. Lässt sich eine Reederei zum Abschluss eines Tarifvertrages bewegen, gilt der zumeist nicht für sämtliche ihrer Schiffe, sondern jeweils nur für den einzelnen Frachter. Deshalb müssen mühsam für jedes Schiff einzeln bessere Arbeitsbedingungen erkämpft werden. Ein Tarifvertrag gilt dann auch nur für ein Jahr. EE

Von Elke Spanner

In kaum einer Branche ist die Globalisierung so weit vorangeschritten wie in der Seeschiffahrt. Und in kaum einer Branche zeigen sich die negativen Auswirkungen auf die Arbeitnehmer so deutlich wie dort: Viele Reedereien schicken ihre Containerschiffe unter der Flagge eines Billiglohnlandes auf See und entziehen sich dadurch der Tarifbindung für die Seeleute. Die Internationale Transportarbeiter Föderation (ITF), der Weltverband der Verkehrsgewerkschaften, versucht diese Woche in ganz Nordeuropa, Reedereien zum Abschluß eines Tarifvertrages zu bewegen. In den norddeutschen Häfen sind dafür neun Trupps der ITF und der Gewerkschaft Verdi unterwegs, um auf einlaufenden Schiffen das Gespräch mit dem Kapitän zu suchen – und der Forderung notfalls mit Boykottmaßnahmen Nachdruck zu verleihen.

In Kiel, Lübeck, Rostock, Saßnitz, Hamburg, Bremen, Bremerhaven und Nordenhamm sind die Gewerkschaftstrupps unterwegs. Die Arbeitsbedingungen an Bord der Containerschiffe, die diese Häfen anlaufen, sind oftmals erbärmlich. Im Hamburger Hafen beispielsweise liegt die „Millenium Express“, ein Frachter einer griechischen Reederei, der unter der Flagge Panamas fährt. Die darauf beschäftigten Seeleute, berichtet Peter Benze von ITF, bekämen im Monat rund 250 Dollar Lohn ausbezahlt – einschließlich der 103 Überstunden, die anfallen, weil die Besatzung rund um die Uhr auf dem Schiff sein müsse. Würde an Bord der Tarifvertrag der ITF gelten, bekämen Matrosen 1.550 Dollar im Monat ausbezahlt.

Auf rund 20 Prozent aller Containerfrachter, die die norddeutschen Häfen ansteuern, sind die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten laut Verdi inakzeptabel. Auch von den rund 1.600 Frachtschiffen deutscher Reeder, sagt Andreas Bergemann von der Verdi-Fachgruppe Häfen, fahre rund die Hälfte unter Billigflagge und ohne Tarifvertrag. Das Recht, eine bestimmte Landesflagge zu hissen, können sich die Reeder erkaufen: Die entsprechenden Länder kassieren dafür eine so genannte Registrierungsgebühr. Vor allem Panama, die Bahamas, Liberia und Antiqua, so Benze, machten damit gute Geschäfte. Das sind die Profiteure auf der einen Seite.

Auf der anderen Seite stehen die Reedereien, die ihre Seeleute zu Dumpinglöhnen auf See schicken können. Dazu sind sich auch renommierte Schiffseigner nicht zu fein: Selbst der Vorsitzende des Verbandes deutscher Reeder, Frank Leonhardt, dem das Unternehmen Leonardt & Blumberg gehört, lehnt laut Verdi den Abschluss von Tarifverträgen ab. Erst durch Boykottmaßnahmen sei Leonhardt dazu zu bewegen gewesen, der Besatzung von zumindest 21 seiner 48 Schiffe einen Tarifvertrag zuzugestehen. Seine Frachter laufen seit Jahrzehnten unter der Flagge Liberias. „Da weiß man, welcher Diktator mit den Registrierungsgebühren finanziert wurde“, sagt Benze.

In Streik treten, um bessere Löhne durchzusetzen, können Seeleute nicht: Protestmaßnahmen auf See können als Meuterei gewertet werden, was nach internationalem Seerecht verboten ist. Und im Hafen können sie keine Arbeit niederlegen, weil nicht sie selbst, sondern die Hafenarbeiter für Be- und Entladen der Schiffe zuständig sind. Deshalb ruft die ITF die Hafenarbeiter dazu auf, die Seeleute zu unterstützen und Billigflaggenschiffe ohne Tarifvertrag zu boykottieren: Verzögern Hafenarbeiter das Beladen eines Schiffes, wird es teuer für die Reederei. Unter diesem Druck, erklärt Bergemann, sei in der Vergangenheit schon so mancher Tarifvertrag durchgesetzt worden.

Auch die Hafenarbeiter, sagt Bergemann, profitierten von der geübten Solidarität. Die Reedereien versuchten nämlich immer mehr, die Selbstabfertigung ihrer Schiffe durchzusetzen: Die Seeleute sollen Arbeiten wie das Befestigen der Ladung selbst erledigen. Das aber gefährde klassische Hafenarbeiter-Jobs. Bergemann: „Durch Tarifverträge für die Schiffsbesatzung werden auch die Hafenarbeiter geschützt.“

Am Donnerstag beispielsweise wird das Billigflaggschiff „Libra Copa Cabana“ zuerst in Rotterdam, zwei Tage später dann in Hamburg einlaufen. Mit den Hafenarbeitern ist schon jetzt abgesprochen, dass sie das Ent- und Beladen verzögern werden. Dabei, sagt Bergemann, treffen die Arbeiter sogar auf Verständnis der großen Hafenbetriebe, deren Mitarbeiter tariflich abgesichert sind: Sie billigen den Boykott, weil sich die Reedereien mit Biligflaggen einen Wettbewerbsvorteil erkaufen.