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Mein Freund Schorsch

In Ex-Szene-Bars

Neulich war Schorsch zu Besuch. Mitgebracht hatte Schorsch wie üblich den Stoizismus eines Systemadministrators aus Mittelfranken und die Säufernase eines Jean Gabin. Rundum sympathisch. Wir standen an der Bar einer ehemaligen Szenekneipe am Weinbergspark. Szenekneipen, erklärte ich ihm, seien hier erst kürzlich flächendeckend abgeschafft worden. Der junge Barmann musste gut zugehört haben, denn wie um mich zu widerlegen servierte er uns binnen einer Stunde sechs verschiedene Versionen eines Whiskey Sour – mit und ohne Kirsche, mit und ohne Strohhalm, mit und ohne Lippenstiftrand, im Cocktail-, im Longdrink- und schließlich sogar im Ramazzotti-Glas. Cool, sagte Schorsch. Als der Barmann die Cocktailkirsche durch eine Olive ersetzte und die Mischung empfindlich zur sauren Seite kippte, zahlte ich und zog Schorsch nach draußen.

Die nächste ehemalige Szenekneipe war zum Glück nicht weit. Ich war gerade dabei, Schorsch von der sagenhaften Vergangenheit dieses abgefuckten Undergroundlochs vorzuschwärmen, von wilden Halloween-Partys und Strokes-Aftershow-Gelagen, da sprach uns die junge Barfrau an: Ob wir vorhätten, unsere Tüte hier drinnen zu rauchen. Crazy, das hatten wir wirklich vorgehabt. Geht nicht, sagte die Barfrau, ist illegal.

Ich sah Schorsch an. Die alte Gelassenheit war wie weggepustet. In seinem Gesicht stand die blanke Hysterie. Er schnippte die herrlich festgerollte Tüte im hohen Bogen über die Theke, klopfte mir auf die Schulter und rief mit sich überschlagender Stimme: „Verboten, verboten! Das ist das Allerneueste!“ Die junge Barfrau schaute finster. Aber ich wusste, Schorsch war ehrlich entzückt von diesem neuen Trend.

SASCHA JOSUWEIT

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