Mutti knackt den Highscore

Der picklige Halbstarke an der Spielkonsole bekommt Konkurrenz. Neuerdings wollen Mutter, Vater und die kleine Schwester an sein Gerät und „Casual Games“ spielen. Bei denen wird gesungen, getanzt oder gegolft – Heiterkeit im Wohnzimmer statt Ballerei im Kinderzimmer. Die Spielehersteller frohlocken über diese Entwicklung, eröffnet sie doch neue Märkte

Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging: Knobeln, rechnen und um die Ecke denken. Vom mentalen Fitnesstrainer erscheint Ende Juni eine Fortsetzung. SingStar: Rock, Pop, Achtzigerjahre. Die verschiedenen Folgen der PS2-Karaokereihe bringen je nach Musikgeschmack lahme Partys in Schwung. Wii Sports: Fast wie echter Sport. Hier wird der Wii-Controller zur Bowlingkugel, zum Tennis- und Golfschläger. Guitar Hero: Wer auf der Plastikgitarre Rocksongs nachspielt, fühlt sich wie ein echter Rockstar. Das Instrument, auf dem Musikfans Saiten anschlagen und Akkorde greifen, gibt es sowohl für PS2 als auch für Xbox 360. Buzz: In den unterschiedlichen Wissensgebieten der PS2-Reihe zählt der schnellste Finger auf dem Buzzer-Controller. Platinum Sudoku: Die Felder der vielen Sudoku-Rätsel füllen Hirnakrobaten per Stift auf dem Touch-Screen. Jewel Quest: Der PC-Klassiker nach dem Tetris-Prinzip. Hier müssen Steine der gleichen Farbe durch Verschieben zueinanderfinden. Lumines: Für musikalische Puzzle-Fans. Passend zu coolen Elektro-Klängen müssen Blöcke so zusammengesetzt werden, dass sie sich auflösen.

VON NINA ERNST

Raus aus der Schmuddelecke wollen die Hersteller ihre Videospiele bringen. Den Weg dazu sollen simple Amüsements mit neuen Konzepten ebnen, Spiele, die auch Einsteiger verstehen. Mit Musik-, Wissens- und Knobelspielen finden selbst Computerneulinge den Weg an die Spielkonsole.

Noch vor wenigen Jahren waren Videospiele das Schreckgespenst der deutschen Mütter. Früher hieß es: „Sitz nicht so lange vor dem Computer“ oder „Mach den GameBoy aus und geh an die frische Luft.“ Wer in aller Ruhe ohne Vorwürfe eine Runde zocken wollte, hat sein Hobby am besten heimlich ausgelebt, wenn Mami nicht zu Hause war. Inzwischen haben Teenager ganz andere Sorgen. Sie müssen ihre Spielkonsole gegenüber Mutti, Vati und der kleinen Schwester verteidigen, die alle einen Zugriff fordern. Denn durch eine neue Art von Spielen werden PC und Konsole auch für diejenigen interessant, die mit virtueller Unterhaltung bislang nichts anfangen konnten.

Die morgendliche Fahrt mit der U-Bahn und das Herumsitzen am Flughafen-Gate beweisen es: Die tragbare Spielkonsole liegt inzwischen in den Händen kleiner Mädchen. Auch Männer mit Anzug und Krawatte und ältere Menschen hantieren nicht selten mit einer tragbaren Spielkonsole herum. Das Bild vom blassen Zocker ohne soziale Kontakte verschwindet.

Casual Games, also Gelegenheitsspiele, nennen die Entwickler ihre Kreationen, die Spieleneulinge und somit eine große Zielgruppe ansprechen sollen. Das können Puzzle-, Karten- oder Musikspiele sein. Hauptsache, die Bedienung ist so einfach, dass sie selbst jemand versteht, dem beim Anblick eines Spielcontrollers samt der vielen Tasten schwindelig wird.

Also gehen die Entwickler Umwege, um das Knöpfchendrücken auf dem Gamepad zu vermeiden. Sie entwerfen neue Eingabegeräte wie Plastikgitarren, mit denen Hobbymusiker an der Konsole Rocksongs nachspielen. Sie lassen die Spieler den Controller wie eine Bowlingkugel schwingen oder ihn zum Steuern auf dem Touch-Screen malen. Auch am PC kommen nur wenige Tasten oder ausschließlich die Maus zum Einsatz.

Tetris, Mahjongg und Skat – Gelegenheitsspiele gibt es schon lange, nur in anderer Form. Bislang wurde ihr Potential unterschätzt. Tüftelspiele sind begehrter und zahlreicher vertreten als je zuvor. Dank der leichten Kost boomt die Videospieleindustrie, trotz der Debatten über Killerspiele und Onlinespielsucht.

Spielkonsolen galten früher als Zeitvertreib für pickelige Jungs, die frische Luft meiden, und waren für die breite Masse daher tabu. Wer zwischendurch eine Runde Karten am Computer gespielt hat, hätte sich nie als Videospieler bezeichnet. Der Kauf einer Konsole kam nicht in Frage.

Seit knapp fünf Jahren sind Games nun gesellschaftsfähig. Den ersten großen Durchbruch schaffte 2003 „EyeToy“ für die PlayStation 2. Die kleine Kamera wird auf den Fernseher gestellt und fügt das Bild des Spielers in das virtuelle Geschehen ein. Der schwingt seine Arme, um virtuelle Fenster zu putzen und kleine Ninjas auf dem Bildschirm umzuhauen.

Wer einmal selber vor der Kamera herumgefuchtelt hat, weiß, wie albern die Verrenkungen aussehen. Aber genau in dieser Heiterkeit liegt der Reiz. Rund 650.000 Kameras und über eine Million Exemplare der 13 verschiedenen EyeToy-Spiele wurden bislang in Deutschland verkauft. Nicht nur an Hardcore-Gamer, sondern auch an Leute, die sich sonst nie mit Videospielen beschäftigen. „Wir wollen Menschen mit Spaß an Gesellschaftsspielen ansprechen“, meint Stefan Nickel, Senior Software Manager bei Sony. „Hier ist keine Affinität zu Videogames Voraussetzung.“

Das findet auch der Student und Gelegenheitsspieler Niki Welter gut: „Klassische Shooter werden mir irgendwann zu schwierig, da ich ein gespaltenes Verhältnis zum Controller habe. Es fällt mir leichter, wenn ich gar nichts in der Hand haben muss wie bei EyeToy. Außerdem ist es lustig, da man das in Gesellschaft spielen kann und nicht wie sonst alleine vor der Konsole sitzt.“

Das Karaokespiel „SingStar“ und das Quiz „Buzz“ wirken ebenfalls langweilig, wenn man alleine vor dem Fernseher hockt. Erst das Gruppenerlebnis macht sie interessant.

Das Konzept der Party-Games kommt an. Die sieben SingStar-Teile wurden europaweit rund 7 Millionen Mal verkauft. Ein weiterer Nachfolger für die neue PlayStation 3 folgt im Juli. Die Quizreihe Buzz, bei der die Spieler auf einen speziellen Buzzer drücken, um Fragen zu beantworten, hat ebenfalls schon mehrere Ableger. Einen Heimvorteil für Spielefreaks gibt es bei dieser Art von Software nicht. Die haben beim Spieleabend dieselben Chancen auf den Highscore wie Neulinge.

Softwarehersteller Ubisoft hat kürzlich eine Sparte namens „Games for Everyone“ gegründet. Die Leiterin Pauline Jaquey will unter dieser Marke zum Beispiel einen Wortschatztrainer und ein Modedesignprogramm veröffentlichen. Den plötzlichen Erfolg erklärt sie sich dadurch: „Casual Games haben sich verändert: die Steuerung, die Interaktivität, die Zugänglichkeit. Dieses Jahr ist ein wichtiger Meilenstein für die Gelegenheitsspiele. Das liegt vor allem an neuen Konsolen wie dem Nintendo DS und dem großen Erfolg der Wii.“

Das sehen viele Firmen so und sind ganz wild darauf, ihre neuen Einsteigerspiele für die beiden Konsolen zu veröffentlichen. Allein der GameBoy-Nachfolger DS wurde in Europa über 10 Millionen Mal verkauft. Das Erfolgsgeheimnis: Die Spiele werden mit einem Stift per Touch-Screen und mit der eigenen Stimme intuitiv gesteuert. Einer der Bestseller ist die in Deutschland eine Million Mal verkaufte Haustiersimulation „Nintendogs“. Das Streicheln, Füttern und Erziehen junger Hunde ist so beliebt, dass sich besonders viele junge Mädchen nur deswegen die passende Hardware gekauft haben. Kurz darauf wurde diese neue Zielgruppe von allen Seiten mit pinkfarbenen Konsolen und etlichen Tierspielen umworben.

Ein weiterer Hit und ein Jahr nach Erscheinen immer noch in den Charts vertreten ist „Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging“. Kleine Denkaufgaben sollen das Gehirn dauerhaft trainieren und zeigen, dass Games nicht dumm, sondern auch schlau machen. Auf unterhaltsame Infos und Lerninhalte setzen inzwischen jede Menge Konsolenprogramme wie der Vokabeltrainer „English Training“ oder der Städteführer „Passport to …“.

Ob „Nintendogs“ oder „SingStar“ – dass Gelegenheitsspieler sich wegen eines Spiels gleich eine Konsole kaufen, gab es vorher noch nie. Diese neue Käuferschicht will sich niemand entgehen lassen. Während Microsoft regelmäßig Minispiele zum Download für die Xbox 360 anbietet, erscheinen für den PC massenweise Titel mit TV-Lizenz, Tetris-Nachfolger und Sudoku in allen Variationen. Der größte Spielehersteller Electronic Arts hat kürzlich ein Portal (www.pogo.de) mit Online-Spielen eröffnet. Die Puzzle-, Kasino- und kleinen Sportgames sollen auch Leute ohne Konsolen und leistungsstarke PCs vor den Bildschirm locken.

Die neue Generation von Zockern würde sich nie selbst als solche bezeichnen. Sie interessiert sich nicht für die Fachausdrücke der Gamer, die Wertungen der Fachpresse sind ihnen egal. Imposante Grafik will sie ebenfalls nicht – im Gegenteil: 3-D-Grafik schreckt einige sogar ab, weil sie dann komplexer denken müssen. Auch möglichst viele Bedienelemente sind nicht gefragt. Innovative Konzepte zählen. „Diese Nutzer wollen vom Spiel bei der Hand genommen werden“, meint Jaquey. „Wenn jemand zum ersten Mal ein Videospiel einschaltet, muss er es sofort beherrschen können.“

Bedienkomfort kommt auch bei Spielern gut an. Während Casual Games früher bei ihnen als langweiliger Kinderkram verschrien waren, spielen richtige Gamer heute auch mal ein Gelegenheitsspiel. Zum Beispiel an der Wii, der neuen Nintendo-Konsole, die auf intuitive Bedienung ausgelegt ist. So wird der wie eine Fernbedienung aussehende Controller je nach Spiel zum Tennisschläger, zum Lenkrad oder zur Luftpumpe.

Bis Weihnachten sollen noch weitere solcher Spiele erscheinen, zum Beispiel Ende September die Gitarrensimulation Jam Sessions, bei der durch Drücken mit dem Stift die virtuellen Saiten angeschlagen werden. Besitzer eines Verstärkers können den sogar an die Minikonsole anschließen. So wird dann unter dem Weihnachtsbaum nicht mehr mit der Blockflöte musiziert, sondern mit der Konsole. Die muss dann der picklige Jugendliche dann gegen Mutter, Vater und Schwester verteidigen.