Putin droht den USA mit Vergeltung

Kurz vor Beginn des G-8-Gipfels verschärft sich der Streit um das geplante US-Raketenabwehrsystem in Osteuropa. Der russischer Präsident besucht Tschechien. Die iranische Regierung bezeichnet die amerikanischen Pläne als „Witz des Jahres“

MOSKAU/TEHERAN ap/dpa ■ Kurz vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm hat der russische Präsident Wladimir Putin Washington im Streit über das geplante US-Raketenabwehrsystem in Osteuropa erneut herausgefordert. Er drohte mit „Vergeltungsschritten“, sollten die USA an ihrem Vorhaben festhalten. Putin deutete an, dass russische Raketen „auf neue Ziele in Europa“ gerichtet werden könnten. US-Präsident George W. Bush wurde gestern Abend in der tschechischen Hauptstadt Prag erwartet.

Das geplante System wäre ein integraler Bestandteil des US-Atomarsenals in Europa, erklärte Putin in einem am Montag veröffentlichten Interview. Das strategische Gleichgewicht würde dadurch gestört und Russland müsste auf die Bedrohung reagieren. Er hoffe jedoch, dass die US-Regierung ihre Pläne in Bezug auf die Raketenabwehr noch änderten. „Wenn das nicht geschieht, weisen wir die Verantwortung für unsere Vergeltungsschritte zurück, denn wir sind nicht die Initiatoren des neuen Wettrüstens, das ohne Zweifel in Europa brodelt.“

Weder der Iran noch Nordkorea verfügten über die Raketen, vor denen das System schützen solle, sagte Putin in dem bereits am Sonntag geführten Gespräch mit ausländischen Journalisten. „Man sagt uns, dass das Raketenabwehrsystem auf etwas zielt, das gar nicht existiert. Erscheint Ihnen das nicht komisch, gelinde gesagt?“ erklärte er und fügte hinzu: „Es wäre komisch, wenn es nicht so traurig wäre.“

Der Iran wies die Argumentation der USA für ein Raketenabwehrsystem in Europa ebenfalls zurück. Die amerikanische Behauptung, man müsse Europa vor iranischen Raketen schützen, sei „der Witz des Jahres“, sagte der oberste Sicherheitsbeauftragte der Teheraner Regierung, Ali Laridschani, am Montag der amtlichen Nachrichtenagentur Irna. „Die iranischen Raketen können auf Grund ihrer Reichweite gar nicht bis nach Europa fliegen“, sagte Laridschani in der ersten öffentlichen Reaktion der iranischen Regierung. Westliche Beobachter gehen davon aus, dass der Iran an einer Schahab-4-Rakete mit einer Reichweite von 2.000 bis 3.000 Kilometern arbeitet. Teheran hat entsprechende Berichte aber nie bestätigt.

Europa sei der wichtigste Handelspartner des Irans, betonte Laridschani. Es sei unlogisch, von einer iranischen Raketenbedrohung auszugehen. Er deutete an, dass die Vereinigten Staaten mit dem Vorhaben möglicherweise die weltweite Aufmerksamkeit von einem umfassenderen Plan ablenken wollten.

Die Diskussion über den geplanten US-Raketenschild sollte auch im Mittelpunkt des Besuchs von US-Präsident Bush in Tschechien stehen. Die britische Regierung äußerte ihre Bedenken gegenüber den Äußerungen Putins. Russland müsse über die Beziehungen zu Europa und zum Westen entscheiden, sagte ein Sprecher von Premierminister Tony Blair am Montag in London. „Europa hat Bedenken und wird sich nicht scheuen, diese auch zum Ausdruck zu bringen“, sagte er. „Ob es eine konstruktive Zusammenarbeit gibt oder nicht, liegt sowohl an Russland als auch an uns.“