Kein Dach mehr über dem Kopf

ÄGYPTEN Die Armee richtet nach einem Anschlag eine Pufferzone zum Gazastreifen ein. Über 10.000 Menschen sollen umgesiedelt werden. Ihre Zukunft ist ungewiss

„Glauben Sie wirklich, dass die Menschen hier anfangen, die Armee zu lieben?“

HAMMAM EL-AGHA, NORDSINAI

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

„Es sind laute Explosionen zu hören, es herrscht komplettes Chaos, manche haben ihr Hab und Gut in Autos gepackt, andere campieren auf der Straße und kaum einer weiß wohin.“ So beschreibt eine Einwohnerin des ägyptischen Teils des Ortes Rafah an der Grenze zum Gazastreifen die Lage.

Die ägyptische Armee schafft dort eine Pufferzone. Sie soll sich zunächst 300 Meter und später 500 Meter vom Grenzzaun zum Gazastreifen erstrecken. Insgesamt sollen 800 Familien, also über 10.000 Menschen, umgesiedelt werden. Sie bekamen eine Frist von 48 Stunden, um ihre Häuser zu verlassen, bevor diese in die Luft gesprengt werden.

Am Donnerstag wurde mit der Sprengung der Häuser begonnen. Die Armee rechtfertigt den Schritt damit, dass sie den Schmuggel von Waffen und Sprengstoff vom Gazastreifen in den Nordsinai unterbinden will, indem die dortigen Tunnel zerstört und in der Pufferzone ein Wassergraben angelegt werden soll, der das Bauen weiterer Tunnel schwerer macht.

„Es wird Blut fließen und jemand wird den Preis dafür zahlen“, hatte Präsident Abdel Fattah al-Sisi nach einem Anschlag in der Nähe von Rafah am Wochenende erklärt. Dabei kamen 33 Soldaten ums Leben, als eine Autobombe an einer Straßensperre hochging. Den Preis zahlen jetzt die Einwohner des ägyptischen Teils von Rafah, die direkt am Grenzstreifen leben.

„Es ist ein Kampf um die Herzen und Köpfe der Bevölkerung“, schreibt der ägyptische Journalist Amr Khalifa. Die lokale Bevölkerung im Nordsinai sei derzeit eingezwängt zwischen der Armee und den Terroristen, ohne irgendeinen Raum, sich zu bewegen oder zurückzuziehen, schildert er die Lage zwischen der Stadt Arisch im Norden der Sinaihalbinsel und Rafah an der Grenze zum Gazastreifen. Ob der neuste Schritt der ägyptischen Armee geeignet ist, die Herzen der lokalen Beduinenbevölkerung zu gewinnen, ist mehr als fraglich.

Es ist schwer, unabhängige Informationen von vor Ort zu bekommen. Der gesamte Nordsinai ist abgeriegelt. Journalisten werden bereits an der Brücke über den Suezkanal zurückgewiesen. Das ägyptische Fernsehen zeigt Einwohner in Rafah, die der neusten Maßnahme freudig zustimmen. Aber in den sozialen Medien und bei den wenigen Malen, in denen man telefonisch in den Nordsinai durchkommt, ergibt sich ein anderes Bild.

Hammam El-Agha, einer der betroffenen Bewohner im Grenzstreifen, erzählt der ägyptischen Internet Plattform Mada Masr, er habe sich zunächst geweigert, sein Haus zu verlassen, nachdem ein Armeeoffizier an seine Tür geklopft und gesagt habe, wenn er sich weigere, werde man das Haus notfalls auch mit ihm im Innern zerstören. „Glauben Sie wirklich, dass die Menschen hier anfangen, die Armee zu lieben und der Terrorismus damit vorbei geht? Das Gegenteil ist der Fall“, erklärt Agha wütend. Unklar ist, wie die Einwohner für ihre zerstörten Häuser kompensiert werden. Umgerechnet 90 Euro erhalten sie zunächst, um mit ihren Familien eine andere Unterkunft zur Miete zu finden. Dann will man ein Entschädigungsverfahren für ihre Häuser ausarbeiten. Präsident al-Sisi erklärte, er habe Anweisung gegeben, dass die Menschen möglichst schnell kompensiert werden sollen. Tatsache bleibt, dass nun Hals über Kopf Tausende Menschen umgesiedelt werden, ohne dass klar ist, was mit ihnen geschehen soll. Präsidenten-Sprecher Alaa Seif, lässt die Einwohner von Rafah jedenfalls von seinem Boss grüßen: Al-Sisi, so sagte er, „wird nicht vergessen, welches Opfer die Menschen im Sinai geleistet haben“.