Vattenfall verliert Lust auf Kohle

ENERGIE Der schwedische Staatskonzern denkt laut über einen Rückzug aus Tagebauen und Kraftwerken in Ostdeutschland nach – die Anlagen sind nicht mehr profitabel

„Eine neue Eigentümerstruktur des Braunkohlegeschäfts“

VATTENFALL

VON BERNWARD JANZING

FREIBURG taz | Vattenfall hat keine Lust mehr auf die Braunkohle. Der schwedische Energiekonzern teilte gestern mit, er erwäge einen Verkauf der betreffenden Sparte. Oder wie es Vattenfall-Chef Magnus Hall formulierte: Vattenfall prüfe „Optionen für eine nachhaltige und neue Eigentümerstruktur seines Braunkohlegeschäfts“. Dieses umfasst fünf Braunkohletagebaue und vier Kraftwerke in Ostdeutschland. Dort sind mehr als 8.000 Mitarbeiter beschäftigt. Auch als Auftraggeber für die dortige Industrie ist der Konzern wichtig. 2013 erhielten über 1.700 Firmen in Brandenburg und Sachsen Aufträge von Vattenfall.

Die Entscheidung war im Verwaltungsrat des schwedischen Konzerns gefallen, seit gut zwei Jahren gab es entsprechende Spekulationen. Am Donnerstag nannte das Unternehmen vor allem zwei Gründe: Zum einen wolle man die CO2-Emissionen des Konzerns senken. Bereits 2011 hatte Vattenfall eine Broschüre über erneuerbare Energien mit dem Satz begonnen: „Die Bekämpfung des Klimawandels gehört zu den größten Aufgaben unserer Zeit“ – damals noch eine Überraschung. Noch 2013 erzeugte Vattenfall 72,8 Milliarden Kilowattstunden Strom aus Kohle, davon allein 57,2 Milliarden oder etwa 10 Prozent des in Deutschland produzierten Stroms aus Braunkohle, dem klimaschädlichsten Brennstoff überhaupt.

Noch wichtiger als der Klimaschutz dürfte die schwindende Wirtschaftlichkeit der Anlagen sein. „Wie andere Energieversorger auch leidet Vattenfall unter schwierigen Marktbedingungen, die durch eine schwache Nachfrage, ein Überangebot an Erzeugungskapazitäten und historisch niedrige Großhandelspreise bei Strom gekennzeichnet sind“, sagte Firmenchef Hall. Ein Blick auf die deutsche Stromerzeugung macht diese Aussage nachvollziehbar: In den ersten neun Monaten 2014 wurden in Deutschland rund 5 Prozent weniger Strom aus Braunkohle und 15 Prozent weniger aus Steinkohle erzeugt als im Vorjahr. Gleichzeitig fuhr Vattenfall insgesamt umgerechnet einen Verlust von 2 Milliarden Euro ein.

Vor diesem Hintergrund fragen sich Experten nun: Wer soll die Anlagen kaufen? Zumal die Braunkohle als Erste aus dem Markt gedrängt wird, wenn eines Tages ein funktionierendes Klimaschutzprogramm kommt. Vattenfall nennt keine Namen.

Auch Mitbewerber RWE, selbst stark im Braunkohlegeschäft, lässt das Angebot unkommentiert. Entscheiden wird über den Verkauf nicht alleine der Preis. Vattenfall untersteht als schwedischer Staatskonzern auch der Politik, weshalb auch das schwedische Parlament zustimmen muss. Deswegen ist derzeit alles offen – der Zeitplan ebenso wie die Frage, ob Vattenfall komplett aus der Braunkohle aussteigen oder nur einen Teil des Geschäfts verkaufen wird.

Am Ende könnte die Braunkohle für den Konzern der zweiten Energieträger werden, von dem er sich in Deutschland verabschiedet. Den Ausstieg aus der hiesigen Atomstromerzeugung hat er nämlich schon – gezwungenermaßen – hinter sich: Weil die störanfälligen Meiler Brunsbüttel und Krümmel nach der Fukushima-Katastrophe endgültig vom Netz mussten, verfügt das Unternehmen heute in Deutschland nur noch über eine 20-Prozent-Beteiligung am Eon-Kraftwerk Brokdorf.

Als einen Rückzug aus Deutschland will Vattenfall den Verkauf der Braunkohle nicht verstanden wissen. Man bleibe den übrigen Geschäftsaktivitäten „weiterhin vollauf verpflichtet“, teilte das Unternehmen mit. Dazu zählen unter anderem die Fernwärme, die erneuerbaren Energien, der Betrieb von Verteilnetzen sowie der Handel und Vertrieb – alles Bereiche mit mehr Profit als die Braunkohle.