Putins Spiel mit den Ängsten des Westens

Russland inszeniert sich im Raketenabwehrstreit mit den USA als Opfer und hievt sich an die Spitze der G-8-Agenda. Der Kreml ist zurück auf der Weltbühne – zum Nachteil der Welt

Der Auftritt des russischen Präsidenten im Kreml am Montagabend war wirksam in Szene gesetzt. Demonstrativ lobte Putin den Testversuch einer neuen Kurzstreckenrakete, die im Gebiet Kaliningrad stationiert werden könnte als Antwort auf die US Pläne, in Polen und Tschechien ein Raketenabwehrsystem zu errichten. Entschlossen und wachsam gab sich der Präsident: Noch vor dem ersten amerikanischen Spatenstich in osteuropäischer Erde hält der Kreml eine ebenbürtige Abschreckungsmaßnahme parat. Diese Botschaft war für das russische Publikum bestimmt, das vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen auf Burgmentalität eingeschworen wird. Russlands herrschende Elite ist sich ihrer Macht nicht sicher und hat den Bürgern außer Bedrohungs- und Isolationsszenarien keine Zukunftsvision anzubieten. Die politische Führung präsentiert sich wie ein eingebildeter Starker, der die Schwächen des russischen Staates überspielt, damit aber auch psychologische Bedürfnisse der Bevölkerung befriedigt, die es nicht gewohnt ist, Fragen zu stellen.

Moskau fühlt sich vom geplanten Raketenschirm nicht wirklich bedroht, darin sind sich die meisten unabhängigen russischen Militärexperten einig. Zehn US-Raketen stünden tausende russische Sprengköpfe gegenüber. Die Ernennung eines rüstungsfernen Verteidigungsministers, der als früherer Möbelhändler und Steuerbeamter gerade an der Akademie des Generalstabs einen Crashkurs in Sachen Wehrwesen absolviert, unterstreicht auch nicht die Glaubwürdigkeit der offiziellen Umzingelungsängste.

Russlands Führung präsentiert sich kompromisslos, denn ihr ist damit mehr Aufmerksamkeit innen wie außen gewiss. Nach dem Petersburger G-8-Gipfel im letzten Sommer dürfte der Kreml auch in Heiligendamm die Agenda wieder beherrschen. Schon jetzt ist klar, dass Klimaschutz und Afrikahilfe von den widerborstigen Russen als Themen verdrängt werden. Russland ist zurück auf der Weltbühne, nicht mehr nur als Großmacht, sondern auch als ein ebenbürtiger Gegenspieler Washingtons. Dieses Bild täuscht, denn weder stellt Putins Reich einen starken Staat noch eine florierende Industriemacht dar. Dennoch entsteht der mediale Eindruck, der Kreml hätte den Sprung in die Champions League geschafft.

Auch außenpolitisch fallen die Drohgebärden auf fruchtbaren Boden. Die Nachrüstungsdebatte der 80er-Jahre ist in Mitteleuropa noch präsent. Heiligendamm ist für den Deutschlandexperten Putin ein idealer Ort, historische Ängste zu instrumentalisieren und neu zu beschwören. Dieser Falle kann der Westen nur entgehen, wenn er sich nicht von russischer Rhetorik immer wieder ins Bockshorn jagen lässt.

Je stärker das russische Großmachtgebaren, desto schwächer sind die Kräfte dahinter. Die Selbstisolation Moskaus im Interesse des Machterhalts einer verantwortungsfernen Herrschaftsriege wird Russland und seiner Bevölkerung teuer zu stehen kommen.

   KLAUS-HELGE DONATH, MOSKAU