Merkels Gipfelsturz

Mit großen Zielen startete die Bundeskanzlerin in die deutsche G-8-Präsidentschaft. Doch dieser Gipfel taugt nicht für Prestige. Die Gipfelgastgeberin ist heute nur noch mit dem Dämpfen der selbstgesetzten Erwartungen beschäftigt

VON HANNA GERSMANN
UND KATHARINA KOUFEN

Angela Merkel, Bundeskanzlerin, ist in diesen Tagen die Mächtigste unter sieben mächtigen Männern. Eigentlich ist alles gut geplant. Nach drei Tagen soll die kleine Delegation in Heiligendamm auf die Terrasse treten, mit einem „Es hat sich gelohnt“-Lächeln.

100 Millionen Euro werden bis Freitag für den exklusiven Kreis ausgegeben sein. Seit Monaten dreht sich im Berliner Regierungsviertel alles um G 8. Für hunderte von Regierungsbeamten gilt seit Wochen Urlaubssperre. Später wird man Merkels Regierungszeit einteilen, vor der Doppelpräsidentschaft in der EU und beim Weltwirtschaftsgipfel – und danach. Doch heute sieht es nach keinem Erfolg für sie aus.

Merkel wollte als G-8-Vorsitzende in die Geschichte eingehen – egal wie: als Klimaschützerin, als Hegdgefondsreguliererin oder als Afrikaretterin. Manche ihrer Vorgänger haben das geschafft. Tony Blair rang seinen Kollegen 2005 das Versprechen ab, die Entwicklungshilfe zu verdoppeln. Exbundeskanzler Gerhard Schröder brachte 1999 die „Kölner Schuldeninitiative“ auf den Weg, zur Entschuldung der ärmsten Länder der Welt. Ob die Versprechen umgesetzt wurden – darauf kam es nie an. Die Abschlusserklärung zählt.

Diesmal haben die Unterhändler Punkt für Punkt debattiert. Merkel hielt sich im Hintergrund. Die Naturwissenschaftlerin prescht nie vor. Offiziell schaltet sie sich erst zum Schluss ein, moderiert und findet den Kompromiss. Erst vor wenigen Wochen haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf diese Weise zu dem Beschluss durchgerungen, den Ausstoß von Treibhausgasen in Europa bis zum Jahr 2020 um mindestens 20 Prozent zu vermindern.

Doch die internationale Bühne ist komplizierter als die europäische. Merkel musste die Erwartungen vorab dämpfen. Diese Woche wurde ein Verweis der Bundeskanzlerin an ihre Mitarbeiter bekannt: „Die BK’in bittet darum, in den nächsten Wochen die Erwartungen beim Thema Klimaschutz und Energieeffizienz gegenüber der Öffentlichkeit deutlich herunterzufahren“. Die „BK’in“, die Bundeskanzlerin, hält sich auch selbst daran.

Klimaschützerin, Hedgefondsreguliererin, Afrikaretterin? Als Merkel vor zwei Wochen den Bundestag über ihre G-8-Pläne informierte, redete sie das Treffen herunter. Das Kalkül: Sie will zum Schluss zumindest noch mit kleinen Signalen auftrumpfen können, wenn ihr Gipfel schon keine klare Botschaft hat. Doch in diesen Tagen hat sie Ringe unter den Augen. Hat sie nun ihre Schwierigkeiten unterschätzt ?

Die Proteste etwa. Den Zaun, den Schutz durch 16.000 Polizisten, den Hochsicherheitstrakt Heilgendamm – all das hat noch die rot-grüne Vorgängerregierung geplant, nicht Merkel. Doch die Kanzlerin traut sich bis jetzt nicht, in der Sicherheitsdebatte Stellung zu beziehen. „Ich habe von ihr in Rostock noch nichts gehört“, kritisiert Attac-Protestkoordinator Peter Wahl.

Oder George W. Bush und Wladimir Putin? Hat die Kanzlerin nicht damit gerechnet, dass die Präsidenten von USA und Russland ihre Widersacher sein könnten? Sie sind es. Putin blockiert in politischen Fragen, Bush will sich beim Klimaschutz nicht festlegen lassen.

„Das war eigentlich von vornherein klar,“ meint Greenpeace-Klimaexperte Tobias Münchmeyer. Merkel wird mit ihren Vorschlägen nicht durchkommen: Die Erderwärmung soll auf maximal 2 Grad Celsius beschränkt und der CO2-Ausstoß bis 2050 halbiert werden. Münchmeyer hofft, dass sie nun auf „Aushilfs-Formeln“ setzt. Denkbar seien Sätze wie „Diejenigen von uns, die das Kioto-Protokoll unterzeichnet haben, bekennen sich zu …“ Bush bliebe mit dieser Formulierung diplomatisch außen vor. Er lehnt das internationale Klimaschutzabkommen ab. Stattdessen kündigte er jetzt eine eigene Klimainitiative an. Merkel kann bestenfalls für sich reklamieren, Bush zum Kampf gegen die Erderwärmung bewegt zu haben. Klimaretter hören sich anders an.

Merkel wollte auch einen Verhaltenskodex für Hedgefonds – Bush und der britische Premier Tony Blair lehnten dies ab. Bleibt die Afrikahilfe. Merkel, Blair und Bush haben bereits angekündigt, ihre Budgets für die Entwicklungshilfe aufzustocken. Aber sie lösen damit nur ihre Versprechen von früheren Gipfeln ein. Mit Heiligendamm und Merkel hat das nichts zu tun. Die Zusagen taugen nicht für ein neues Prestige als energische Afrikaretterin.

Damit der Gipfel nicht ganz sang- und klanglos vorübergeht, soll wenigstens der Ortsname „Heiligendamm“ noch nachhallen. Das Treffen zwischen der G 8 und den fünf großen Schwellenländern China, Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika soll zur Institution werden – als „Heiligendammprozess“.