Politik der kleinen Schritte

Mitte Mai haben die europäischen Bildungsminister Zwischenbilanz gezogen: Auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Bildungsraum gibt es noch viel zu tun. In vielen Ländern hakt es bei der Finanzierung und Qualitätssicherung

Gerade haben die europäischen Bildungsminister Bilanz gezogen, wie sie vorankommen mit der Einführung der neuen Abschlüsse Bachelor und Master, da treten die deutschen Wirtschaftsminister auf den Plan: ein nichtakademischer „Bachelor Professional “ soll her als neuer Abschluss in der beruflichen Aus- und Weiterbildung, um diese aufzuwerten.

Was die Wirtschaftsminister auf der Bundeswirtschaftsministerkonferenz gestern und vorgestern in Eisenach zu unterstützen beschlossen, stößt auf herbe Kritik. „Der Titel verwirrt und führt zu mangelnder Akzeptanz des Bachelor-Grades insgesamt“, so Margret Wintermantel, Präsidenten der Hochschulrektorenkonferen (HRK). Der Bachelor sei eindeutig ein Hochschulgrad, auch international. Wintermantel: „Unsere Bemühungen, ihn als akademischen Abschluss zu etablieren, werden konterkariert, wenn die Wirtschaftsminister einem nichtakademischen ‚Bachelor‘ zustimmen.“

Durch ein verwirrendes Etikett liefen Unternehmen Gefahr, „die Übersicht zu verlieren“, befürchtet Dieter Hundt, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. „Ein ‚Bachelor Professional‘ sorgt dafür, dass ‚Bachelor‘ nichts mehr aussagt“. Auch aus dem Bundesbildungsministerium kam Kritik. Zwar sei es sinnvoll, der Berufsbildung auf EU-Ebene mehr Anerkennung zu verschaffen. „Wir sind allerdings skeptisch, ob der Weg des ‚Bachelor Professional‘ hilfreich ist“, so ein BMBF-Sprecher zur taz. NIL

VON ANNEGRET NILL

Als sich die europäischen Bildungsminister Mitte Mai zur Bologna-Folgekonferenz in London zusammensetzten, zogen viele Beobachter skeptisch die Brauen zusammen. Die Zeit wird knapp für das gewaltige Reformprojekt, das die 46 Minister Europas in Gang gesetzt haben: Bis 2010 soll Europa zu einem gemeinsamen Hochschulraum verschmolzen sein. Ein Hochschulraum mit gestuften, grenzübergreifend gültigen Abschlüssen, in dem die Leistungen der Studierenden von London bis Madrid, von Bordeaux bis Warschau vergleichbar sind und überall mit demselben Punktsystem ECTS (European Credit Transfer System) gemessen werden. Zwei Jahre nach dem letzten Treffen ist die Euphorie verflogen. Die Bilanz der europäischen Bildungsriege zeigt: Bis die europäische Bildungsintegration Wirklichkeit ist, bleibt noch viel zu tun.

In vielen Ländern hakt es vor allem an vier Punkten: der Finanzierung der Reformen, der Qualitätssicherung, der Mobilität der Studenten und den sozialen Auswirkungen auf die Studierenden. Die europäische Arbeitsgruppe „Soziale Dimension“ fordert daher, dass jedes Land bis 2009 einen eigenen Handlungsplan entwickelt, wie es den Zugang zur Hochschulbildung für Studenten aus allen Schichten öffnen will. Schließlich soll die Studierendenschaft die Vielfalt der europäischen Bevölkerung widerspiegeln. Ein Anspruch, den das Londoner Kommuniqué, die Abschlussverlautbarung der europäischen Bildungsminister, unterstreicht.

Auch auf nationaler Ebene beginnt die Nachlese. „Alle Studiengänge werden inhaltlich reformiert. Bologna bedeutet auch, dass nun statt der Lehrenden die Lernenden mit ihren Kompetenzen in den Mittelpunkt rücken“, so Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Doch wie tiefgreifend sich die deutsche Universitätslandschaft durch die Reformen verändert, hätten noch nicht alle verstanden.

Achtundvierzig Prozent der Studiengänge in Deutschland sind auf das Bachelor-Master-System umgestellt. Die Einführung des ECTS läuft. Allerdings waren im Wintersemester 2005/2006 nur 12,5 Prozent der Studierenden in einem der neuen Studiengänge eingeschrieben. Bei den Studienanfängern waren es 28 Prozent. Gleichzeitig gibt es in Deutschland einen anderen problematischen Trend: Die Studienanfängerquote war in den vergangenen Jahren rückläufig. Immerhin werden in den nächsten Jahren wieder steigende Studienanfängerzahlen erwartet. „Eigentlich bräuchten die Hochschulen 15 bis 20 Prozent zusätzliche Mittel für die Durchführung der Reformen. Dieses Geld haben sie aber nie bekommen“, bemängelt HRK-Präsidentin Wintermantel.

Die Finanzierung der staatlichen Hochschulen ist Ländersache. Es sind die Länder, die für Personal- und Sachausgaben sowie Investitionen allein aufkommen. Der Bund darf sich seit der Föderalismusreform nur noch bei Baumaßnahmen und der Beschaffung von Großgeräten finanziell beteiligen. Momentan ist er über zwei Sonderprogramme an der Finanzierung der Hochschulen beteiligt.

Eins dieser Programme ist der Hochschulpakt. Dabei legen Bund und Länder zusammen, um 91.000 zusätzliche Studienanfänger zu finanzieren – bis 2010. Mehr als 1 Milliarde Euro stellt der Bund bis 2013 zur Verfügung, heißt es aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Genug ist das laut HRK-Frau Wintermantel noch lange nicht, die Hochschulen bräuchten Planungssicherheit über 2010 hinaus. Eine Ausdifferenzierung der Studienangebote und die Aufnahme von Studierenden ohne Zugangsbeschränkungen sei unter den gegenwärtigen Begingungen nicht möglich. Nicht zufällig setzen die Hochschulen auf den Numerus clausus (NC), um die Zahl der Studierenden zu beschränken. Besonders die neuen Bachelor- und Master-Studiengänge sind mit Zulassungsbeschränkungen belegt.

Das andere Programm, bei dem der Bund mitzahlt, ist die Exzellenzinitiative, über die Spitzenforschung gefördert werden soll. Die Finanzspritze geht direkt an ausgewählte Eliteuniversitäten, Graduiertenschulen und Exzellenzcluster. Problem: Die anderen Hochschulen werden finanziell noch weiter abgehängt. Denn das Geld, das die Länder der Exzellenzinitiative zuschießen, fehlt ihnen.

Freilich hakt es an den deutschen Hochschulen nicht nur an der Finanzierung. Ähnlich problematisch ist die Betreuung der Studierenden. Das Verhältnis von Studenten zu Dozenten sollte sich durch Bologna endlich verbessern. Kleinere Seminare und höhere Qualität, neue, bessere Lehrmethoden. Die Realität sieht anders aus: Nach wie vor sind die Seminare überfüllt – und werden es wohl erst mal bleiben. So hat Bayern gerade beschlossen, dass bis zu 90 Studierende in einem Seminar sitzen dürfen.

Um die Betreuung zu verbessern, möchte Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) das Bachelor-Studium mit einem Tutoriensystem ausstatten. Wer das zahlt? „Die Betreuung der Studierenden ist Aufgabe der Länder“, heißt es aus dem BMBF. Noch vor der Sommerpause wollen sich Vertreter von Bund und Ländern zusammensetzen, um über Finanzierungsmöglichkeiten zu sprechen.

HRK-Präsidentin Wintermantel ist skeptisch. Ein Tutorensystem reiche nicht, um die Misere an den Hochschulen zu beheben. Im Vergleich zu anderen Ländern, in denen kleinere Seminare Alltag sind, schneidet Deutschland schlecht ab. Ändern könne sich das nur durch eine einigermaßen einheitliche Grundfinanzierung für das Hochschulsystem durch Bund und Länder gemeinsam.

Gut schneidet Deutschland im Vergleich zu den anderen Bologna-Staaten dagegen in puncto Qualitätssicherung ab. Mit dem Akkreditierungsrat und den staatlich anerkannten Akkreditierungsagenturen wurden die notwendigen Strukturen für eine Qualitätssicherung geschaffen. Dies heißt allerdings nicht, dass die Qualität aller Studiengänge bereits geprüft wurde. 37 Prozent der neuen Studiengänge sind bereits akkreditiert.

Katharina Binz vom Freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs) begrüßt, dass die europäischen Bildungsminister im Londoner Kommuniqué ein europäisches Register für Qualitätssicherungsagenturen beschlossen haben. Davon erhofft sie sich eine bessere Qualität der Lehre. Eher skeptisch ist sie dagegen bei der Mobilität der Studierenden. Immer noch würden Studienleistungen aus dem Ausland oder von unterschiedlichen Universitäten im Inland nicht anerkannt. Zudem sei die Lissabon-Konvention von 1997, die die gegenseitige Anerkennung von Hochschulzugangsqualifikationen und Studienabschlüssen innerhalb von Europa regelt, in Deutschland bisher noch nicht ratifiziert worden.

Um die Mobilität zu erleichtern, will Bildungsministerin Schavan die Dauer von Bachelor-Studiengängen flexibilisieren. Wer einen Auslandsaufenthalt macht, soll dreieinhalb oder vier Jahre studieren dürfen. Jedoch soll sich das Masterstudium proportional verkürzen.

Auch in den anderen Ländern ist Mobilität ein Problem. So haben Studenten aus Ländern wie Serbien oder der Ukraine, die am Bologna-Prozess teilnehmen aber nicht zur EU gehören, in vielen EU-Ländern Schwierigkeiten, an ein Visum zu kommen. Zudem können Studierende bislang Stipendienprogramme bei einem Auslandsstudium nicht problemlos in Anspruch nehmen. Um dies zu erleichtern, haben die Bildungsminister in London beschlossen, ein europaweites Netzwerk nationaler Experten einzurichten. Es gibt also noch viel zu tun in den nächsten zwei Jahren – bis zur nächsten Bolognakonferenz in Leuven.