Lachen über Stolpern über Falten

VOLKSBÜHNE Der Verausgabungsschauspieler Peter Fritsch inszeniert an alter Wirkungsstätte die Verwechslungskomödie „Spanische Fliege“ von 1913. Sein Ensemble läuft zur Höchstform auf, der Saal tobt

„Mich interessieren nur Bilder, Gesichter und der Rhythmus von Sprache und Musik“, sagte Herbert Fritsch auf die Frage, warum er denn Filme mache. Er war noch als Schauspieler an der Volksbühne zu Gange, als er mit „Hamlet_X“ das Projekt begann, in 58 Kurzfilmen die Dramaturgie von Hamlet in jeder Hinsicht zu zerlegen. „Hamlet_X“ kommt nun ebenso wie der Langfilm „Elf Onkel“, eine weitere Hamlet-Mutation von Fritsch, ins Kino, nämlich ins Babylon. Bis zum 10. Juli zeigt das Kino zusammen mit der Filmgalerie 451 Fritschs Filme, auch die, die im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe entstanden sind, „Dr. Jekyll and Mrs. Heidi“ und „Kinderkarussell“.

VON ANNE PETER

Teppiche sind der ideale Ort für Slapstick-Orgien. Außerdem verlocken sie dazu, jede Menge unter den Teppich zu kehren. Und wenn dann irgendwann alles wieder hervorzuquellen droht, stürzt das die Vertuschungsbedürftigen in helle Panik.

Ebendiese Panik der sittenstrengen Lebenslügenbastler ist es, die Herbert Fritsch in der „Spanischen Fliege“, einem Verwechslungs-Schwank von Franz Arnold und Ernst Bach von 1913, auf hysterische Höhen treibt. Ein gigantischer Orientteppich macht die Bühne in voller Breite zum Bürgerparadies. Hinten türmt er sich zu zwei Falten von Halfpipe-Kaliber, die erstürmt und hinuntergerutscht werden und zwischen denen auch noch ein Trampolin verborgen ist.

Triumphale Heimkehr

Der zurzeit meistgefeierte Komödienmacher Herbert Fritsch bereitet sich so den idealen Boden, um an die Volksbühne heimzukehren. Nachdem er als Regisseur gerade mit zwei Einladungen zum Berliner Theatertreffen geadelt wurde, lässt er sich endlich auf seinen alten Heimatbrettern feiern. 15 Jahre lang war er Verausgabungsschauspieler unter Frank Castorf, bevor er auszog, um die Stadttheater von Oberhausen bis Schwerin mit seinen hochtourig überdrehten, künstlich aufgeschminkten Körperkomödien aufzumischen.

Und man muss es einen Triumph nennen: Lange wurde in der Volksbühne nicht mehr so viel von Herzen gelacht und zwischenapplaudiert. Die Entfesselung der Schauspieler, für die Fritsch andernorts bewundert wird, gelingt ihm auch da, wo alle immer schon entfesselt schienen. Selbst Stars wie Wolfram Koch und Sophie Rois, in den Rollen von Mostrichfabrikant Klinke und seiner sittlichkeitsfanatischen Frau, laufen zu Höchstform auf. Mandy Rudsky als verliebtes Klinke-Gör Paula, Christoph Letkowski als ihr Casanova-Bräutigam und vor allem Inka Löwendorf als schnippische Cousine Wally glänzen hier, wie sie sonst nie Gelegenheit hatten zu glänzen. Dazu kommen Talente wie der junge Sebastian Reiber als verklemmt-deppertes Stadtratssöhnchen oder Volksbühnen-Urgestein Harald Warmbrunn als stoisch vertrottelter Tiedemeier, der die brisanten Akten über Klinkes uneheliches Kind in die falschen Hände gibt.

Herrlich, wie Koch diese Akten im Angesicht seiner Frau hektisch wegzujonglieren versucht und halsbrecherische Vertuschungstänzeleien vollführt. Wie er über nicht vorhandene Teppichfalten stolpert und bäuchlings der Rampe entgegenrutscht. Sophie Rois kreiselt mit Perückenkopf und Mutterschutzbund-steifem Körper im senfgelben Kleid (Kostüme: Victoria Behr) aufgeregt über die Bühne und faucht Echauffiertheiten heraus, dass es eine Lust ist. Reiber zieht die Motte in seiner Hand wie ferngesteuert über die Bühne; Löwendorf zappelt atemlos unter seinen forschen Kussattacken; Letkowski ballettöst mit Rudsky ein Kitsch-Kuss-Duett. Christine Urspruch – als Gerichtsmedizinerin „Alberich“ aus dem Münsteraner „Tatort“ bekannt – trägt eine Simpsons-Turmfrisur und stampft die Tarantella mit unverwechselbarer Grandezza.

Momentweise sprenkelt Fritsch eine Prise Ernst in den Schabernack, wenn Hans Schenkers Reichstagsabgeordneter in Hitler-Sprech oder in „Allah“-Gebetsposen verfällt, wenn er seiner Nichte Paula den Bräutigam verbietet. Insgesamt aber drängt dieses Theater gen pure Artistik, die den Diskurs mit Absicht verweigert und bei der wir vor allem die Virtuosität der Darsteller bewundern, ihre Kunst des Körperverrenkens, Grimassenschneidens und der 150 seltsamen Gangarten. Das Spiel stülpt den Subtext gnadenlos nach außen, die Triebe ergreifen Besitz vom Körper.

Auch wenn sich hier keine überraschende Gegen-den-Strich-Lesart ergibt, wie im „Biberpelz“ oder der „Nora“, sondern der Boulevardkracher noch mit Komödienschmiere übertüncht wird: Fritsch zeigt, wie die brutale Bestie Mensch ausbricht, sobald die säuberlich gezimmerte Fassaden-Existenz oder Wunschtraumfantasie zusammenzubrechen droht. Da haut eine der anderen den Kopf auf den Boden oder zwirbelt man die Krawatte zum Würgestrang. Doppelmoral und Verlogenheit, selten explodieren sie so unterhaltsam wie bei Fritsch. Mit diebischer Freude jagt er alles über den Teppich, was darunter gekehrt wurde.

■ Nächste Termine: 1., 2., 6., 8. Juli, jeweils 19.30 Uhr, Volksbühne