Nigeria verklagt Pharmakonzern Pfizer

Die Firma soll nicht genehmigte Tests durchgeführt haben. Doch die sind in Afrika nichts Ungewöhnliches

NAIROBI taz ■ An den schicksalhaften Tag vor elf Jahren kann sich Alhadschi Ali Darma noch genau erinnern. Seine fünfjährige Tochter Nadschatu hatte sich mit Meningitis infiziert, die 1996 in der nordnigerianischen Stadt Kano so stark grassierte wie noch nie. Die Regierung rief im Radio dazu auf, sich im staatlichen Krankenhaus zu melden. „Wir wurden in einen Raum geführt“, berichtet Ali Darma. „Zwei Männer gaben meiner Tochter Spritzen und legten ihr ein gelbes Plastikarmband an. Dann schickten sie uns nach Hause.“ Doch Nadschatu erholte sich nicht, ihr Zustand verschlechterte sich rapide. Heute ist die Jugendliche taubstumm, andere Kinder starben, erlitten Hirnschäden oder sind schwer körperbehindert. Alles eine Folge der Behandlung, glaubt Nadschatus Vater.

Denn im Krankenhaus von Kano erprobten Ärzte im Auftrag des weltgrößten Pharmakonzerns Pfizer ein neues Medikament namens Trovan. Bis zu 200 Kindern, so schätzen lokale Behörden, wurde das Medikament verabreicht, das sich in der Prüfungsphase befand. Zwar behauptet der Konzern, eine Genehmigung gehabt zu haben – doch als einzigen Beweis hat Pfizer bisher ein gefälschtes Schreiben vorgelegt, das angeblich von der Ethikkommission des Krankenhauses stammt. Doch die Ethikkommission, sagen lokale Ärzte, wurde erst ein halbes Jahr danach eingerichtet.

Elf Jahre später fordert Nigerias Regierung mehr als 5 Milliarden Euro Schadenersatz von Pfizer. Wie viel davon an die Opfer oder Hinterbliebenen weitergeleitet werden soll, geht aus der Klageschrift, die bei einem Gericht in der Hauptstadt Abuja einging, nicht eindeutig hervor. Dort wird bereits seit mehr als zwei Jahren eine Klage des Bundesstaats Kano verhandelt. Pfizer selbst beteuerte am Dienstag erneut, man habe sich nichts zuschulden kommen lassen. „Die nigerianische Regierung war über alle Details des Tests informiert“, so Pfizer-Sprecher Bryant Haskins. „Die Tests sind ethisch einwandfrei durchgeführt worden, die Patienten wussten Bescheid.“ Doch der Aids-Experte Leonard Okello von der Entwicklungsorganisation ActionAid hält das für eine PR-Lüge.

„Firmen wie Pfizer kommen mit ihren Tests doch nur deshalb nach Afrika, weil sie zu Hause Angst vor Schadenersatzprozessen haben.“ In afrikanischen Staaten fehlten dagegen oft auch nur grundlegende Gesetze, um die Testteilnehmer zu schützen. Niemand kontrolliere, ob sie tatsächlich über alle potenziellen Folgen aufgeklärt würden. „Und selbst wenn, viele Leute sind so arm, dass sie alles tun würden, um ein bisschen Geld zu verdienen.“ Ethisch korrekt, bilanziert Okello, sei das nicht.

Pfizer ist nicht der einzige Konzern, der in Afrika Medikamente testet. Bekannt werden die Versuche aber meistens erst, wenn etwas schiefgeht. So musste ein US-amerikanisches Versuchslabor erst im Februar ein Gel gegen Aids zurückrufen, das hunderte Frauen in Uganda, Benin und Südafrika getestet hatten. Das Gel des kanadischen Pharmaunternehmens Polydex sollte – vor dem Sex in der Scheide verteilt – HI-Viren abtöten. Stattdessen jedoch erhöhte das Gel sogar die Gefahr, an Aids zu erkranken. Mindestens 20 Frauen steckten sich während des Versuchs mit dem HI-Virus an.

Der Fall deckte auch andere Probleme auf: Die meist bitterarmen Frauen, die für den Test eine Aufwandsentschädigung von 15 Euro erhielten, verkauften das Gel portionsweise in den Slums weiter – als Mittel gegen Aids. Ohne es zu ahnen, erhöhten sie so die Zahl der Opfer.

MARC ENGELHARDT