IM AUSUFERNDEN GENRE DER DORFLITERATUR GEHT ES IM GRUNDE UM EIN GANZ ALTES THEMA: DIE SUCHE NACH DEM GLÜCK
: Wenn man einmal seinen Nachttisch aufräumt

Die einen wollen aus Berlin raus, die andern wieder rein

VON HELMUT HÖGE

Bei mir stapelt sich die Dorfliteratur neben dem Bett. Seltsam: Sachbücher von Leuten, die aufs Land gezogen sind und darüber berichten – oder mindestens die Handlung ihrer Romane in einem Dorf angesiedelt haben. Manchmal ist das eine nicht vom anderen zu unterscheiden. Aber im Grunde geht es stets um das alte Thema, die Suche nach Glück.

Da schreibt etwa der FAZ-Journalist Axel Brüggemann in der Vorbemerkung seines Buches „Landfrust“, dass es ursprünglich „davon handeln sollte, wie unglaublich schön“ sein Leben geworden sei, als er von Berlin weg in das Haus seines Großvaters auf dem Land zog. Aber schon bald merkte er, dass das Leben im Dorf ganz anders geworden war, als er es in Erinnerung hatte. Ihn beschlich das Gefühl, in einer „Krisenregion“ gelandet zu sein, die von „Verdummung, Verrohung und Vereinsamung“ durchdrungen war.

Diesen traurigen Befund hatte vor ihm bereits der Schriftsteller Geert Mak am Beispiel seines westfriesischen Dorfes herausgearbeitet: „Wie Gott verschwand aus Jorwerd – der Untergang des Dorfes in Europa“, hieß seine Studie. Das Gegenteil muss taz-Redakteur Martin Reichert empfunden haben, als er sein Buch „Landlust“ schrieb: Er lebt in Berlin und freut sich jedes Mal, wenn er zu seiner „festen Beziehung“ aufs Land fährt, die sich inzwischen weiter in das Dorf integriert hat. Seine Geschichten darüber gliedert er dem Sujet angemessen nach den vier Jahreszeiten.

Die ehemaligen taz-Mitarbeiter André Meier und Anja Baum erzählten dagegen ihre Landgeschichten von Anfang an: als sie in Berlin einen Hof im Umland suchten. Die elektronische Vernetzung macht es den Kopfarbeitern – „Kreativen“ – leicht, auf dem Land zu leben und gleichzeitig quasi in der Stadt zu arbeiten. Der Gemüseanbau und die Nutztierhaltung dienen Meier/Baum dabei als kreative Nebenbeschäftigung zur Erhöhung der Lebensqualität: die agrarische Produktion nicht statt, sondern als urbane Konsumption. Es geht ums Glück im vorpommerschen Winkel, ihr Buch heißt: „Hollerbusch statt Hindukusch“.

Dabei machen sich die zwei Journalisten aus Ostberlin, die gerne Fleisch von selbstgeschlachteten Tieren essen und bereits eine „Kleine Aussteigerfibel“ veröffentlichten, ein bisschen über Karen Duve lustig: Die Hamburger Schriftstellerin war in ein brandenburgisches Dorf gezogen und hatte dabei nicht nur ihr eigenes, sondern gleich des ganzen Planeten Glück in den Blick genommen. Ihr Buch heißt: „Anständig essen. Ein Selbstversuch“. Sie ernährte sich auf ihrem Hof jeweils zwei Monate biologisch, vegetarisch, vegan und frutarisch.

Sturer Bauer rettet LPG

Ernst gestimmt ist auch Biobauer Thomas Morgenstern: Der Westautor bedient das ausufernde Subgenre „Dorfkrimi“, wobei er seine Morde im Milieu der Milchbauern ansiedelt, aufklären lässt er sie von einem Milchkontrolleur. Und dann gibt es noch Beate Morgenstern, sie lebt gleich hinter Köpenick. Ihr Roman „Nachrichten aus dem Garten Eden“ spielt in einem sachsen-anhaltinischen Dorf. Hauptfigur ist ein sturer Bauer, der seinen Hof partout nicht in die LPG „einbringen“ wollte, der LPG-Vorsitzende ließ ihn nicht nur gewähren, sondern sicherte am Ende auch sein Überleben, indem er ihn als „Museumshof“ seiner LPG deklarierte. Nach der Wende konnte der sich zu Recht „Biohof“ nennen – und überlebte damit sogar die LPG.

Die Erfahrungsberichte in- und ausländischer Erntehelfer auf deutscher Scholle übergehe ich hier. Diese haben natürlich inzwischen auch alle einen Laptop – und oft sogar einen Hochschulabschluss. Erwähnen will ich aber noch die vielen Dorfromane – von in Berlin oder Wien lebenden Schriftstellern, die auf dem Land groß geworden sind – und nun als schreibgewandte Städter kundig davon berichten. Dazu gehören etwa der Roman „Der lange Gang über die Stationen“ des Oberösterreichers Reinhard Kaiser-Mühlecker und das dünne Buch der niederdeutschen Autorin Svenja Leiber: „Büchsenlicht“. Ihre wenigen Protagonisten haben „Landregen im Gemüt“, zechen jedoch genauso gerne wie die in Oberösterreich.

Der Roman „Vorortgespräch“ des Berliner Feuilletonisten Florian Illies handelt von seinem Geburtsort Schlitz, wo sein Vater eine limonologische Station der Max-Planck-Gesellschaft leitete. Der Autor hat sich statt Enttäuschung oder Verkunstung einige „romantische Sehnsuchtsbeschreibungen“ darin erlaubt, wie er der FAZ gestand. Der ehemalige taz-Kulturredakteur Kolja Mensing wählte dagegen eine umgekehrte Erzählperspektive für seinen Dorfroman, in dem es schon im Titel darum geht: „Wie komme ich hier raus?“ – und nach Berlin rein.