Großes Kino im Glockenturm

Gute Ideen gehören unterstützt: So denkt auch der Pastor der Hamburger Katharinenkirche und zeigt den „Glöckner von Notre Dame“ mehr oder weniger am Ort des Geschehens. Hinter dieser und ähnlichen Vorstellungen an ungewöhnlichen Orten steckt der findige Filmenthusiast Holger Kraus

Friedhöfe sind nicht jedermanns Sache, alte Filme auch nicht und Temperaturen unter Null erst recht nicht

von JESSICA RICCÒ

Filmfreunde sollten tunlichst ins Kino gehen, anstatt monatlich mehrere Terabyte Raubkopien zu saugen: Das ist nämlich ein ganz anderes Erlebnis, so verspricht es ein Werbespot – schon der roten Samtsitze wegen. Das mag stimmen, wenn der Film der Wahl von Kinos handelt. Alle übrigen Filme kann Holger Kraus ins rechte Licht rücken. Mit seinem Wanderkino „Flexibles Flimmern“ bringt der Hamburger seit August vergangenen Jahres Filme an passende Orte: Claude Faraldos „Themroc“ zeigte er in einem Abrissgebäude – der Film spielt nochmal wo? Genau. Und „40 Quadratmeter Deutschland“ kam mit Kraus’ Hilfe am Original-Filmset in der Hamburger Münzburg zur Aufführung. Sein neuestes Projekt ist der „Glöckner von Notre Dame“ aus dem Jahr 1939, zu sehen im Glockenturm der Hamburger Hauptkirche St. Katharinen.

Die Art, wie Holger Kraus über Filme und sein Wanderkino spricht, erinnert an einen Wasserfall. Dieser Mann liebt Kino wirklich. Das merkt man einerseits daran, dass er eben ausgerechnet diese Verfilmung des „Glöckners“ zeigt – ohne Gina Lollobrigida oder Walt Disney, dafür aber der Romanvorlage am nächsten. Noch mehr den Ausschlag gibt aber die Atmosphären, die er schafft: Um in Krausimodos Kämmerlein zu gelangen, muss das Publikum erstmal Treppen steigen und steigen und steigen – bis knapp unter die Glocken, ins improvisierte Kino: Eine Leinwand, ein Beamer, Stühle, die Basics sind erfüllt.

Allerdings: Vor dem Aufbau des Kinos sah das Turminnere etwa so aus wie Hempels Sofa von unten. Jetzt ist der Raum fast schon gemütlich. Herumliegende Backsteine hat Holger Kraus zu einer Stadtsilhouette zusammengesetzt, noch fix einen Tresen für Kaltgetränke und Gummibärchen gebaut. Eine klassische Popcornmaschine wäre hier fehl am Platz. Jede Viertelstunde läuten die Glocken so laut, dass man beinahe die Englein singen zu hören glaubt – aber man gewöhnt sich daran. Und mit etwas Übung wird Holger Kraus auch das Zehn-Uhr-Läuten mit der passenden Filmszene deckungsgleich setzen.

Der Draht zur Katharinenkirche ist „Moby Dick“ zu verdanken: Den hatte Kraus vor einigen Monaten bei Schietwetter auf der Flussschifferkirche gezeigt. Gekommen war auch Frank Engelbrecht, Pastor von St. Katharinen und ein Freund von Filmen und guten Ideen. Mit dem Flexiblen Flimmern und den Dia-Installationen von Harmut Gerbsch hat er sich nun selbst Kultur ins Haus beziehungsweise den Glockenturm geholt.

Auch in Gerbsch’ „Die Betrachtungen eines Randgängers“ spielen Kirchenglocken eine zentrale Rolle. Im Zusammenhang mit dem gezeigten Film wirken sie wie ein irritierter Blick eines modernen Quasimodos auf die Welt da draußen: Büros, in denen bis spät in die Nacht Licht brennt. Scheinbar grundlos leerstehende Häuser, das Kommen und Gehen in Großstädten.

Unten schmeißt derweil Holger Kraus den Glöckner an die Leinwand: Da das Publikum sich als überwiegend nicht des Deutschen mächtig entpuppt, wird der Film kurzerhand auf Englisch mit deutschen Untertiteln geschaut. Und es ist okay. Holger Kraus ist zufrieden. Er hat bei Premieren schon höher gepokert: Etwa, als er in einer Friedhofskapelle in Hamburg-Wilhelmsburg Ingmar Bergmans „Das Siebente Siegel“ zeigen wollte. Friedhöfe sind eben nicht jedermanns Sache, alte Filme leider auch nicht und Temperaturen unter Null erst recht nicht. Mit Gasöfen, Beerenpunsch und viel Flüsterpropaganda ließ sich das Projekt dennoch stützen.

Eine bezaubernde Idee, dieses Wanderkino. Und Holger Kraus’ Blick scannt seine Stadt permanent nach geeigneten Orten ab: George Lucas’ früher Science-Fiction-Film „THX 1138“ ließe sich doch prima unter der Brücke am Messegelände zeigen. Ob sich das realisieren lässt, hängt momentan noch vom Willen einiger Behörden ab. Und was Hamburg nicht noch für Schauplätze in Petto hat: „Absolute Giganten“ im Elbtunnel? „Nine Songs“ in der Großen Freiheit? „Das Dschungelbuch“ im Tierpark?

Bisher lagen dem Flexiblen Flimmern keine Steine im Weg, wie folgende Anekdote belegt: Während der Vorführung von „Themroc“ beschwerten sich Anwohner über die Lautstärke. Zwei Polizisten gingen ihrer Pflicht nach und der Beschwerde auf den Grund. Hätte Holger Kraus nicht das Glück auf seiner Seite gehabt, wäre der Kinoabend drastisch abgebrochen worden: In der laufenden Szene von „Themroc“ wurde gerade ein erlegter Polizist in einem Pariser Hinterhof gegrillt. So nahmen die Polizisten den Streifen nicht persönlich und freuten sich über das Kino in der Nachbarschaft. Gute Ideen sollten nicht gebremst werden.

www.flexiblesflimmern.de