Das Haus hat Verstopfung

Cornelia Meran erbte eine Villa voller Gerümpel und lud Künstler ein, auf dieses Chaos zu reagieren. Die Ausstellung „an/denken an/sammlung“ ist jetzt in Pankow zu sehen

Eine neue Wohnung ist wie eine neue Jacke. Man schlüpft hinein, ruckt noch ein bisschen dran und beginnt sie mit der eigenen Persönlichkeit auszufüllen. Eigentlich simpel. Schwierig wird es nur, wenn noch jemand anderes in der Jacke, respektive Wohnung steckt. So ging es der Österreicherin Cornelia Meran, die von einer angeheirateten Tante ein Haus in Salzburg erbte. Als die Nichte in die schicke Gründerzeitvilla einziehen wollte, musste sie feststellen: Die Tante war zwar weg, aber all ihre Sachen waren noch da.

Man kann Merans Schock nachvollziehen – auch wenn in der Ausstellung „an/sammlung - an/denken“, die aus daraus hervorging, nur ein Bruchteil des Plunders zu sehen ist. Ihre Materialfülle erschlägt: Plastikgeschirr, Papiertüten, leere Pril-Packungen, gerupfte Bürsten, aufgehobene Bindfäden, abgegriffene Spielkarten. Da die Erbin auch studierte Ethnologin ist und als Kuratorin arbeitet, lud sie Künstler ein, sich mit der Villa Freiland und ihrem Sammelsurium aus 130 Jahren Alltagsleben auseinanderzusetzen.

Ein Haus in einem verwilderten Garten. Eine Tür, die fast vom Efeu überwuchert ist. Kurt Kaindls Schwarzweißfotografien haben die Villa in ihrem „Entdeckungszustand“ eingefroren. Die verstaubten Bücherregale, der überquellende Kleiderschrank wirken, als hätten sie für Jahrzehnte im Dornröschenschlaf gelegen. Ein Foto zeigt eine Abstellkammer voller Schachteln. Manche sind mit mysteriösen Chiffren markiert, wie Erinnerungsnotizen eines manischen Archivars. Nicht nur Merans Tante, auch deren Eltern konnten anscheinend nichts wegwerfen.

Eine andere Begründung für den Zustand der Villa hat Christian Mercier de Beauvoure gefunden: „Das Haus leidet unter Verstopfung“. In dem kleinen Trickfilm des Künstlers lösen sich die Gegenstände aus ihrer Erstarrung und ziehen freiwillig aus. Erst wandert die Suppenkelle Richtung Ausgang, dann die Keksdose. Schließlich eine ganze Karawane: Knöpfe, Schere, Teppichklopfer. Ganz am Ende ein kleiner Holzdackel, der sich umschaut, ob auch alle mitkommen.

Daneben gibt es in der jetzt in Pankow präsentierten Ausstellung noch zwei andere tolle Arbeiten zu sehen. In Anlehnung an die Spurensicherung in der Kunst hat Gerhard Kreml Fundstücke wie einen Volksempfänger oder ein Sommerkleid mit Strohhut in Plastik eingeschweißt und mit dem Logo „Real Relics“ versehen. Die Objekte wirken wie käufliche Versatzstücke für die eigene Identitätskonstruktion. Der Gedanke, das eigene Dasein mit Vergangenheit aufzupeppen, wird von Helmut und Johanna Kandl auf die Spitze getrieben: Sie behaupten, ihren Videofilm „Haus der Frauen“ für einen neureichen Russen gedreht zu haben, der in der feinen Wiener Gesellschaft schief angeguckt wird. Mit Hilfe der Villa und ihrer „authentischen“ Gegenstände inszenieren sie für den ominösen Herrn Selimchanov eine respektable Vergangenheit. Zufrieden schlüpft er in die gefälschte Biografie. Manchmal ist eine neue Wohnung eben doch wie ein neues Leben. TIM ACKERMANN

Ausstellungshalle in der Prenzlauer Allee 227, Di–So 10–18 Uhr, bis 16. 9.