Europa hängt am türkischen Ölhahn

Nahe der türkischen Stadt Ceyhan könnte ein Drehkreuz für Öl und Gas entstehen. Die neue Infrastruktur soll die EU unabhängiger von den Lieferungen aus Russland machen und hilft der Türkei bei den Beitrittsverhandlungen. Doch Moskau hält dagegen

AUS CEYHAN UND ISTANBUL NICOLE MESSMER

Eines der wichtigsten Projekte der Türkei liegt mitten im Nirgendwo: Auf dem Weg zum Ceyhan-Terminal fährt man vorbei an riesigen Getreidefeldern, Bauern treiben ihre Ziegen über die Straße, und immer wieder bremst ein Traktor die Fahrt. In der Nähe von Ceyhan an der türkischen Mittelmeerküste endet die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline, kurz BTC. Die knapp 1.770 Kilometer lange Pipeline transportiert Öl aus Baku am Kaspischen Meer über Aserbaidschan und Georgien in die Türkei. Fast jeden Tag verlässt ein Tanker mit einer Million Barrel Öl das Terminal bei Ceyhan – immerhin 1,3 Prozent des weltweiten Verbrauchs.

Die EU braucht Energie, und die Türkei braucht Geld für Investitionen in die eigene Elektrizitätsinfrastruktur. Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen, auf das die Akteure setzen – auch im Hinblick auf die Beitrittsverhandlungen. Um diese Aspekte drehte es sich daher auch bei der gemeinsamen Energiekonferenz der EU und der Türkei, die am Dienstag in Istanbul stattfand: „Es ist offensichtlich, dass die Mitgliedschaft der Türkei viele Vorteile mit sich bringt, vor allem aber im Bereich der Energie“, warb Ali Babacan, türkischer Chefunterhändler bei den Beitrittsverhandlungen.

Die EU-Staaten haben den zweithöchsten Energieverbrauch weltweit, rund die Hälfte davon muss importiert werden. Zwar kann die Türkei kaum eigene Energie bieten – sie importiert prozentual gesehen sogar noch mehr als die EU, dafür liegen in direkter Nachbarschaft die energiereichen Regionen in Zentralasien und dem Nahen Osten. Da sich Europa, spätestens seitdem Russland im Januar 2006 das Gas abdrehte, nicht mehr allein auf den großen Nachbarn verlassen will, wird die Türkei immer wichtiger. „Die Türkei spielt eine zentrale Rolle bei der Diversifizierung der Energieversorgungsrouten“, erklärte daher auch Erweiterungskommissar Olli Rehn.

Entscheidend dafür ist die Gegend rund um Ceyhan. Neben der BTC-Pipeline, die seit knapp einem Jahr in Betrieb ist, und einer Verbindung nach Kirkuk, welche zurzeit nur unregelmäßig Öl liefert, sind allein für diese Region zahlreiche weitere Pipelines geplant. Erst kürzlich begannen die Bauarbeiten für eine dritte Ölpipeline, die den Rohstoff vom Schwarzmeerhafen Samsun nach Ceyhan bringen soll. Auch Gas könnte künftig an der südtürkischen Küste ankommen: Parallel zu BTC soll eine Gaspipeline entstehen, und auch von Ägypten aus werden Röhren in die Türkei verlegt.

Pläne, die vor allem Russland wenig gefallen. Der Kreml versucht daher seinen ganzen Einfluss auf die ehemaligen Sowjetrepubliken geltend zu machen und Russland als Transportroute zu stärken. Erst vor wenigen Wochen erteilte Kasachstan entsprechend die Zusage, auch weiterhin den Großteil seiner Ölreserven über russische Pipelines zu transportieren. Auch dem Prestigeprojekt Nabucco, das zentralasiatisches Gas über den Balkan bis vor die Tore Wiens liefern soll, droht mit dem Gazprom-Projekt „Blue-Stream“ Konkurrenz. Der türkische Energieminister Hilmi Güler zeigte sich jedoch optimistisch: „Wir werden die Probleme lösen und dieses Projekt verwirklichen, das ist keine Frage.“

In jedem Fall wird die Türkei als Energiekorridor weiter an Bedeutung gewinnen. Profitieren kann vor allem die Gegend um Ceyhan. Noch leben die meisten Menschen hier von der Landwirtschaft, bald schon könnte es Öl sein. Bislang sind in der Region 570 Arbeitsplätze entstanden, um den Betrieb der Pipelines und des Verladeterminals aufrechtzuerhalten – obwohl die meisten der Ceyhan-Projekte noch nicht verwirklicht sind.