Kordilleren-Staaten trocknen aus

Peru und Bolivien sind wirtschaftlich vom Wasser aus den Anden abhängig. Gletscherschmelze hat Rekordtempo erreicht. In Lima ist Trinkwasser bereits knapp

PORTO ALEGRE taz ■ „Die beschleunigte Gletscherschmelze in den Anden verstärkt die Wasserprobleme in der Region“, heißt es lakonisch im Gutachten der Experten der Bundesregierung. Doch in Peru und Bolivien, wo über 90 Prozent sämtlicher tropischen Gletscher liegen, könnte sich die Lage bald sehr zuspitzen.

Von einer 2.042 Quadratkilometer großen Gletscherfläche in den Kordilleren sind seit 1989 bereits 22 Prozent verloren gegangen, haben Umweltschützer nachgewiesen. „Für uns ist der Klimawandel mehr als ein Umweltproblem“, sagt Julio García vom peruanischen Nationalen Umweltrat, auf dem Spiel stünden Perus Entwicklungschancen schlechthin. Die Pazifikküste, an der über 70 Prozent aller PeruanerInnen wohnen, wird fast vollständig durch Andenflüsse versorgt. Vier Fünftel der peruanischen Energieversorgung hängen von Wasserkraftwerken ab. Zudem verschlingen Bergbauprojekte und Landwirtschaft riesige Wassermengen.

Besonders düster sind die Aussichten für Lima. Die Wasserversorgung der ungebremst wachsenden Acht-Millionen-Metropole wird bislang durch einen 60 Kilomenter langen Tunnel durch die Anden garantiert. Im Wahlkampf 2006 hatte Präsident Alan García hunderttausenden Bewohnern der Armenviertel Trinkwasseranschlüsse versprochen. „Wasser für alle“ heißt das Programm. Doch „es wird sehr wenig Wasser für alle geben“, prophezeit Carlos Silvestri, der früher den kommunalen Wasserbetrieb Sedapal geleitet hat. „Unsere Reserven reichen nicht einmal für ein Jahr.“

Auch die bolivianische Regierungsstadt La Paz und das angrenzende El Alto auf 4.000 Meter Höhe beziehen einen Großteil ihres Trinkwassers aus den umliegenden Andengletschern. Bereits 2009 werde die Nachfrage die verfügbaren Reserven übertreffen, sagt der Gletscher-Forscher Edson Ramírez voraus. Die meisten liegen unter der malerischen Tuni-Condoriri-Kordillere, die im letzten Vierteljahrhundert fünf von 15 Gletschern eingebüßt hat.

Weiter südlich, in Chile, schrillen die Alarmglocken noch nicht. Ähnlich stur wie Alan García in Peru hält Präsidentin Michelle Bachelet am wasserintensiven Agroexport und an umweltzerstörerischen Megaprojekten im Bergbau- und Energiebereich fest. In Patagonien plant sie mit spanischem Kapital mehrere Wasserkraftwerke. Für die Goldmine Pascua Lama an der Grenze zu Argentinien will der kanadische Multi Barrick Gold sogar zwei Gletscher versetzen lassen.

GERHARD DILGER