Afrika blockiert den Gipfel

Fällt Heiligendamm hinter Gleneagles zurück? Ausgerechnet Kanada sperrt sich jetzt gegen konkrete Beschlüsse für Afrika

VON DOMINIC JOHNSON
(BERLIN) UND KATHARINA KOUFEN (HEILIGENDAMM)

Vor zwei Jahren war die Verdoppelung der Entwicklungshilfe für Afrika das Erfolgsthema der G-8-Runde. Heute bringt das Thema den Gipfel an den Rand einer Krise. In letzter Minute sollten gestern Abend neue Verhandlungen über eine gemeinsame Linie zur Umsetzung der Afrika-Hilfsversprechen des G-8-Gipfels von Gleneagles 2005 beginnen. Damals hatte der Gipfel unter britischem Vorsitz die Verdoppelung der Hilfe für Afrika bis 2010 vereinbart – eine Zusage, die bisher nicht einmal in Ansätzen erfüllt worden ist. Ohne eine Konkretisierung mit verbindlichen Finanzplänen ist die Zielvorgabe für 2010 nicht mehr zu retten, sind sich Experten einig.

Genaue Zahlen für höhere Hilfe sollten also die „Sherpas“ der G-8-Staaten, die die Abschlusserklärung vorbereiten, bei ihrem letzten Treffen am Montag auf den Tisch legen. Aus Kreisen der Bundesregierung wird bestätigt, dass eine entsprechende schriftliche Aufforderung des deutschen G-8-Sherpas Bernd Pfaffenbach an alle Gipfelteilnehmer erging. Großbritannien und Frankreich hätten zugestimmt. Italien, Japan und Kanada nicht.

Seitdem treten die Verhandlungen auf der Stelle. Aus der britischen Delegation, die stark für eine Umsetzung der Gleneagles-Beschlüsse eintritt, ist zu hören, die Gespräche würden sich bis heute hinziehen. Der Gipfel endet heute Nachmittag. Bundeskanzlerin Angela Merkel bestätigte gestern, die Afrika-Erklärung werde wohl erst heute fertig.

Nach intensivem Lobbying der internationalen Afrika-Kampagnen nahmen Italien und Japan gestern ihren Widerstand teilweise zurück. Italien sagte zu, ausstehende Beiträge an den UN-Aidsfonds in Höhe von 260 Millionen Euro zu zahlen und seine Entwicklungshilfe deutlich zu erhöhen. Japan erklärte, es werde verbindliche Sprachregelungen in der Abschlusserklärung nicht blockieren.

Kanada jedoch war nicht umzustimmen. „Wir müssen erst mal klar definieren, was wir unter der vielzitierten Afrika-Erklärung eigentlich verstehen“, sagte ein Mitglied der kanadischen Delegation. In Gleneagles hätten sich nicht die einzelnen Länder zu mehr Hilfe verpflichtet, sondern bloß die G-8-Runde insgesamt. „Wir können aber sagen, dass wir auf gutem Wege sind, unsere Afrikahilfe bis 2008 oder 2009 zu verdoppeln, ein Jahr früher als der Rest.“ Nur in eine Gipfelerklärung will sich das die konservative Regierung von Stephen Harper offenbar nicht hineinschreiben lassen.

Das ärgert insbesondere die internationale Kampagne Data (Debt, Aids, Trade for Africa). „Uns geht es darum, die allgemeinen Verpflichtungen von Gleneagles weiterzuentwickeln in spezifische, zielorientierte und durchgerechnete Pläne“, sagte Data-Europadirektor Oliver Buston. Insbesondere der UN-Aidsfonds und die Weltbank-Bildungsinitiative FTI bräuchten verbindliche Finanzierungszusagen.

Bei Aids sind Fortschritte erkennbar. Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul erklärte gestern, Deutschland werde seine Beiträge zum Kampf gegen Aids von 300 Millionen Euro im Jahr 2006 auf 500 Millionen für 2008 aufstocken. Die EU-Kommission kündigte 100 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich für den UN-Aidsfonds an.

Aber insgesamt zeigt sich Data, deren Vorreiter wie Bono, Bob Geldof und Youssou N’Dour (siehe Interview) sich in Heiligendamm auch direkt an die Staatschefs wenden, von Deutschland enttäuscht. Kanzlerin Merkel habe sich unter Verweis auf Haushaltsverpflichtungen nicht auf konkrete Vorgaben im Bildungs- und Gesundheitssektor festlegen wollen, hieß es nach einem Treffen am Mittwochabend. „Merkel stimmt uns zu, dass die Hilfe für Afrika dramatisch steigen muss, aber sie hat keinen Plan dafür“, kritisiert Buston. Rocksänger Bono sagte: „Es war ein schwieriges Treffen und wir streiten uns jetzt mit dem Bundeskanzleramt über ihre Zahlen.“ Beim Open-Air-Konzert „Deine Stimme gegen Armut“ gestern Abend wollten die Musiker ihrem Ärger über Merkel Luft machen.

Wie schon beim Klimaschutz könnte das deutsche Zaudern nun den USA eine Gelegenheit bieten, sich als Gipfelretter zu profilieren. Aus US-Kreisen wurde gestern ein Vorschlag lanciert, die Hilfe für Afrika um 60 Milliarden Dollar im Jahr zu erhöhen – in Gleneagles waren es bloß 25 Milliarden gewesen. Die USA würden davon die Hälfte zahlen. Nach US-Angaben hat sich Merkel über den Vorschlag „sehr gefreut“.