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Das grelle Zwitschern der Tröten

KONZERT Die Master Musicians of Jajouka rissen das Publikum im Haus der Kulturen der Welt von den Stühlen

So fremd diese mystische Transzendenzmusik erscheint, so sehr ist sie inzwischen Teil der Popkultur

VON ANDREAS HARTMANN

In der zweiten Hälfte des Konzerts der Master Musicians of Jajouka im Haus der Kulturen der Welt wurde einem dann doch noch ungefähr klar, wie es in den Fünfzigern den Beatniks und in den Sechzigern den Hippies ergangen sein muss, als sie in dem kleinen Bergkaff Jajouka im Norden Marokkos aufschlugen und erstmals die Musik der Master Musicians hörten. Es muss atemberaubend gewesen sein. Die Musiker legten an diesem Abend in Berlin die Kamanja – eine Art Violine, die man beim Spielen auf dem Schoß hält – und die etwas kleineren Trommeln irgendwann beiseite, holten endlich endgültig ihre Tröten raus, die Ghaitas, erhoben sich von ihren Sitzen und lieferten die Ritualmusik, die man als Jajouka-Fan erwartete. Das grelle Zwitschern der Ghaitas zusammen mit dem dumpfen Gegrummel der Großtrommeln klang dann wie ein Hornissenschwarm, der gleichzeitig mit einer Herde Elefanten auf einen zukam. Die ohrenbetäubenden Obertöne vermischten sich mit den abstrakten Rhythmen, und endlich war sie da, die Kakofonie aus einer anderen Welt. Das Publikum, das in der ersten Hälfte des Abends einem doch erstaunlich unspektakulären Konzert beiwohnte und keinen Mucks außer höfliches Klatschen von sich gab, rastete jetzt völlig aus. Alle standen auf, tanzten und wollten immer mehr von dieser orgiastischen Sufi-Musik. Auch wenn sie vielleicht nicht die Drogen intus hatten wie damals die Beatniks und Hippies.

Wahrscheinlich dachten die Meistermusiker, sie würden ihr deutsches Publikum überfordern, wenn sie von Beginn an diesen Höllenlärm veranstalteten, womit sie vielleicht auch Recht gehabt hätten. Dabei waren die meisten Konzertbesucher wohl schon gekommen, um diese free-jazz-artige Trancemusik zu erleben, für die die Master Musicians weltberühmt sind und weniger diese eher klassische Weltmusik, die zu Beginn geboten wurde.

So fremd diese mystische Transzendenzmusik zu sein scheint, so sehr ist sie schließlich doch auch inzwischen Bestandteil der Popkultur und damit durchaus auch etwas Vertrautes. Schließlich war es der ehemalige Gitarrist der Rolling Stones, der 1971 mit der Veröffentlichung der Platte „Brian Jones presents The Pipes of Pan at Jajouka“ einen bis heute gültigen Klassiker der etwas extremeren, nun ja: Popmusik popularisierte. Ein echter Stones-Fan hat jedenfalls die Single „Satisfaction“ genauso daheim stehen wie diese Platte mit Volksmusik aus den Bergen Marokkos.

Die Master Musicians of Jajouka sind ganz offensichtlich gerade in eine neue Phase ihrer Selbstvermarktung eingetreten. Einerseits sind sie weiterhin die enigmatischen Meisterbläser aus einem armen Bergdorf mit undurchsichtigen Clan-Strukturen, in dem die Zeit stehen geblieben ist. Andererseits verfügen sie über eine perfekte Website, vertreiben Platten auf ihrem eigenen Label, arbeiten zusammen mit New Yorker Avantgarde-Musikern und verkaufen auf ihren Konzerten T-Shirts wie eine Rockband.

Trotz Streitereien, welcher Musikerclan nun das Erbe der angeblich 4.000 Jahre alten Meistermusiker-Tradition verwalten darf, ist Jajouka inzwischen eine Marke, die sich nach 20 Jahren Pause mal wieder in Deutschland präsentiert. Wie nun genau, das scheinen die Bläser und Trommler selbst noch herausfinden zu müssen. Da war es nur zu verständlich, dass es beim Berlinkonzert zwischen Musikern und Publikum eine gewisse Beschnupperungsphase gab. Am Ende wurde ja noch alles gut und man schaffte es sogar, in den holzvertäfelten Konzertsaal des HKW etwas von der spirituellen Stimmung zu zaubern, die in Jajouka herrschen muss.

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