„Mysteriös, negativ, kurios“

AUSSTEIGER Der ehemalige Zeuge Jehovas Misha Anouk kehrte der Gemeinschaft den Rücken

■ 32, Schriftsteller und Blogger. 2009 erschien „Das Leben ist keine Waldorfschule“.  Foto: Anouk Lamm Anouk

taz: Herr Anouk, wieso haben die Zeugen Jehovas einen so schlechten Ruf?

Misha Anouk: Das hängt damit zusammen, dass man relativ wenig über sie weiß. Die wenigen Dinge, die man weiß, sind häufig mysteriös, negativ und kurios.

Ein Beispiel?

Das Schlagwort ist Bluttransfusion. Die Zeugen akzeptieren generell medizinische Behandlungen, aber sie lehnen Bluttransfusionen ab. Und das sowohl im Notfall, als auch bei Routineoperationen. Dass sie Feste wie Weihnachten oder Geburtstage nicht feiern, ist für die Außenwelt ebenfalls sehr befremdlich. Wenn es um spärliche Informationen geht, die man über eine Religionsgemeinschaft hat, bekommt diese ein schlechtes Image. Es gibt viele Vorurteile und obwohl nicht alles schlecht ist bei den Zeugen, überwiegt das Negativimage.

War es für Sie ein Problem, auf die Feiertage zu verzichten?

Wenn wir Zeugen unter uns waren, gab es natürlich kein Problem. Es wurde zum Problem unter Klassenkameraden, wenn in der Schule Geburtstage gefeiert wurden. Ich war immer derjenige, der seinen Geburtstag nicht feierte oder anderen gratulierte. Das habe ich schon vermisst. Ich war das fünfte Rad am Wagen.

Welchen Glaubenshintergrund haben die Zeugen?

Sie sind aus einer Bewegung im 19. Jahrhundert entstanden, die daran glaubte, dass Jesus eines Tages als Gottes Racheengel zurückkehrt, um die Bösen zu vernichten. Im Anschluss würde Gott die Erde in ein Paradies verwandeln. Damit sie nicht in Gottes Ungnade fallen, gehen die Zeugen von Haus zu Haus und predigen ihren Glauben.

Wieso sind Sie ausgestiegen?

Ich bekam irgendwann Zweifel daran, ob ich das Leben so, weiterleben kann. Ich habe das lange überspielt. Nach 20 Jahren war der Leidensdruck allerdings so hoch, dass über eine Sünde ausgestiegen bin.

Welche Sünde haben Sie begangen?

Ich hatte vorehelichen Geschlechtsverkehr. Das habe ich zugegeben und musste mich vor einem Komitee erklären. Diese Sünde habe ich nach der Beichte nicht bereut und wurde somit aus der Gemeinschaft ausgestoßen. Die Zeugen pflegen einen Glauben, bei dem das Schuld- und Pflichtgefühl eine zentrale Rolle spielt. Damit war die Zugehörigkeit eine psychische Belastung, der ich nicht länger standhalten wollte. Heute bin ich mit mir im Reinen.  INTERVIEW: SHN

Lesung aus „Goodbye, Jehova! Wie ich die bekannteste Sekte der Welt verließ“: 20 Uhr, Nochtspeicher