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Eine ungewöhnlich deprimierende Familie

FILMREIF Die Schauspielerin Andrea Sawatzki veröffentlicht mit „Von Erholung war hier nie die Rede“ abermals einen neuen Roman

Erfreulich, dass die Ich-Erzählerin auch unsympathisch ist. Sie hört ihrem Mann noch weniger zu als er ihr

Die 50-jährige Hausfrau Gundula Bundschuh und ihre Familie sind manchen Lesern schon aus „Tief durchatmen, die Familie kommt“ bekannt. Mit „Von Erholung war nie die Rede“ hat Andrea Sawatzki die Fortsetzung und damit ihr insgesamt drittes Buch vorgelegt.

Dieses Mal reist Familie Bundschuh für die Herbstferien nach Norderney: Oma Susanne, Gundulas Schwiegermutter, hat beim Preisausschreiben eines Marmeladenherstellers einen Familienurlaub gewonnen. Eigentlich möchte Gundula die Gelegenheit nutzen, Ehemann Gerald in Ruhe von ihren beruflichen Plänen zu erzählen: Sie hat sich als Kosmetikvertreterin beworben.

Ausbruch in den Schlager

Doch auch der ruhige Finanzbeamte möchte ausbrechen: Er träumt von einem neuen Leben als Schlagersänger. Und Schwiegermutter Susanne sieht sich schon als das neue Marmeladen-Werbegesicht. Das Personal vervollständigen Ricarda und Rolfi, die muffigen Teenager-Kinder der Bundschuhs, zwei schlecht erzogene Hunde, der notgeile Marmeladenbaron von Bücken-Lippe und Frau Wischnewski, die strenge Hotel-Rezeptionistin.

Andrea Sawatzki ist vor allem als Schauspielerin bekannt. Acht Jahre lang war sie die überspannte Tatort-Kommissarin „Charlotte Sänger“. Dementsprechend schreit einem aus ihrem Roman in jeder Zeile entgegen: „Verfilme mich!“ Darauf setzt die Autorin erklärtermaßen. Und zwar am liebsten mit Andrea Sawatzki als Gundula Bundschuh und ihrer Dogge Gustav in der Rolle der Dogge Gulliver. Die Komödie hat sie also sich und ihrem Hund auf den Leib geschrieben.

Ansonsten ist bei Familie Sawatzki alles anders als bei den Bundschuhs: Sie und ihr Ehemann und Kollege Christian Berkel haben zwei Kinder und drei Hunde, die Bundschuhs aber drei Kinder und zwei Hunde. Und natürlich: spannendere Berufe als die Romanfiguren. Um dem Drehbuchautor später die Arbeit zu erleichtern, ist jeder Szenenwechsel durch ein neues Kapitel markiert. 60 Kapitel kommen so zusammen. Die häufigen Wechsel tun dem Buch gut, die Personen laufen sich in ständig wechselnden Kombinationen über den Weg.

Ein altes Hotel hat ja genug Türen, durch die die Akteure auf- und abtreten können. Da die Ich-Erzählerin Gundula nicht immer dabei sein kann, wechselt die Erzählperspektive gelegentlich und – selten – manchmal zu überraschend und folgt dann mal der Schwiegermutter, mal dem Ehemann. „Von Erholung war nie die Rede“ ist eine niedrigschwellige Komödie. Es entspricht wohl den Regeln des Genres, dass Figuren klischeehaft überzeichnet sind und Witzpointen sicherheitshalber direkt noch einmal erklärt werden. Der langweilige Ehemann ist Finanzbeamter, der schmierige Marmeladenbaron hat ein rotes Gesicht, Mundgeruch und Pomade im Haar. Die überdrehte Oma hat jeden Morgen in Wallegewändern und einer Wolke von Patschouli die „Fünf Tibeter“ zu Gast. Da weiß jede Leserin ohne Umwege Bescheid.

Da ist es erfreulich, dass Ich-Erzählerin Gundula nicht ungebrochen sympathisch ist. Eigentlich hört sie ihrem Mann noch weniger zu, als sie es ihm umgekehrt vorwirft. Den Vorsatz, in Zukunft mehr an sich zu denken, hat sie längst eingelöst. Gerald hat wenigstens noch echte Träume von einer Zukunft als Schlagersänger, während Gundula sich schon eine Karriere als Kosmetikvertreterin vergleichsweise glamourös vorstellt. Die Bundschuhs sind eine ungewöhnlich deprimierende Familie, in der nicht einmal darüber geredet wird, wer als nächstes Gassi geht.

Am Ende müssen die bis dahin erfreulich schweigsamen pubertierenden Kinder Sätze sagen wie: „Ihr habt in letzter Zeit irgendwie schon megaverkalkt gewirkt“ und „Ich will später auch so sein wir ihr.“ Das aber wäre selbst den miesepetrigsten Teenagern nicht zu wünschen.

ANGELA LEINEN

■ Andrea Sawatzki: „Von Erholung war nie die Rede“. Piper Verlag, München 2014, 272 S., 18,99 Euro

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