In die Tasche gesteckt

Die Ausstellung „Textile Transporter“ widmet sich einem erweiterten Begriff des Ornamentalen und Stofflichen. Die im Projektraum Art Transponder gezeigten Textilien sind Tapeten, aus Papier oder auch nur aus Zucker

Ein süßer Film überzieht den Bürgersteig vor der Galerie, nach dem ersten Regenschauer hat sich die Textur gewandelt. Nur eine Spur zeugt noch von einer temporären Installation, die inzwischen von Füßen verwischt, vom Wasser geschmolzen ist. Die schottische Künstlerin Linda Florence hatte florale Ornamente gestreut – aus Zucker.

Drinnen begegnet einem das Ornamentale wieder in Form von barock anmutenden Wandtapeten. In verschiedenen Schichten von der Künstlerin bemalt und bedruckt, erscheinen sie wie Jugendstiltapeten vom Cyberspace aus betrachtet. Denn auch Tetris-ähnliche geometrische Formen bilden eine der Farbschichten der „Wallpapers“. Mit ihren Schöpfungen kleidet Linda Florence Räume in London, Dubai und Berlin neu ein. Nach langen von Bauhaus-Schlichtheit und Ikea geprägten Jahren erhält das Ornament auch außerhalb von Galerien wieder triumphalen Einzug in die vier Wände.

„Textile Transporter“ haben die Berliner Künstlerin Renata Brink und die Engländerin Caryn Simonson ihre Ausstellung im Projektraum des Vereins für künstlerischen Austausch „Art Transponder“ genannt. Wer aber eine Design-Ausstellung der Modebranche erwartet, liegt falsch. Reine Textilie ist hier nur Renata Brinks „Vorhang“, der in violetten Lidschattenfarben changiert. Sonst schleichen sich die Textilien eher als Texturen und Reminiszenzen ein – oder als Medium der Veränderung und Verfremdung. So hat Patricia Waller zu Nadel und Faden gegriffen und Gehhilfen für die Alten und Gebrechlichen mit einer Strickhülle umgeben. Die Maschen in den Farben von Verbandsmaterial und Bandagen wickeln den Gebrauchsgegenstand ein, verfremden ihn und machen ihn selbst zum Patienten. Die Gehhilfen erinnern an eine Generation, für die Häkeln noch zum Alltag gehörte.

Die Materialhaftigkeit ist es, die auch bei anderen Arbeiten einen Verfremdungseffekt auslöst. Mitten im Raum steht eine von jenen „Türkentaschen“, die in Berlin für wenige Euros an fast jeder Straßenecke zu erwerben sind, es handelt sich um eine Arbeit von Sophie Schmidt. Ein ganzer Mensch hätte darin Platz. Tragen kann man damit jedoch nichts: Sie ist nicht aus den üblichen Plastikfasern, sondern aus bedrucktem Papier gefertigt. Viel „Textil“ also und wenig Transport.

Fast gänzlich transzendent wirken Katja Thens Schöpfungen. Nur bei bestimmtem Lichteinfall erkennt man die auf Transparentpapier gedruckten Kartenhäuser. „Ich habe ein Stipendium erhalten, um Luftschlösser zu bauen“, sagt die Künstlerin. Sie werden erst aus Papier gefalzt, dann fotografiert und abgedruckt. Immer ephemerer sind sie dadurch geworden. Hier ist es das Material selbst, das seine eigene Präsenz zurücknimmt.

Die Kuratorinnen Renata Brink und Caryn Simonson verfolgen mit ihrer Ausstellung einen erweiterten Textilbegriff im Sinne der Expanded Arts, wie ihn Rosalind Krauss in ihrem Aufsatz über einen erweiterten Skulpturbegriff vertreten hat: Textilien sind hier nicht nur die gewebten, gehäkelten, gestrickten Stoffe, sondern alle denkbaren Oberflächen und ornamentalen Strukturen: die in Zucker gestreuten Spitzenmuster ebenso wie die Brokatornamente oder die Rasterstruktur eines Stoffes. Und diesen Gedanken transportiert die Ausstellung wie einen kostbaren Brokatfaden, den man erst im Gewebe ausfindig machen und nachverfolgen muss, der aber entscheidende Glanzmomente setzt. CLAUDIA WENTE

„Textile Transporter“, bis 30. 6. bei art transponder, Brunnenstr. 151, Do 12–17, Fr + Sa 14–19 Uhr; Künstlerinnengespräch 16. 6., 17 h mit Hanne Loreck